Pia Minixhofer, Bernhard Scharf, Sebastian Hafner, Thomas Romm

Die Stadt im Wachstum

In den kommenden Jahren werden immer mehr Menschen in Städten leben und arbeiten (UN 2018). Die damit einhergehende Notwendigkeit nach mehr Wohnraum und Infrastruktur lässt die Bautätigkeit steigen. Böden werden versiegelt und Grünflächen im Zuge des Baufortschrittes vernichtet. Dieser vermeintliche Erfolg geht in zunehmendem Maße auf Kosten der Lebensqualität der Menschen, die unter den Folgen der Hitzestaus, schlechterer Luftqualität und Schäden durch Hochwasser leiden.

Folgen des Wachstums

Die Folgen des Städtewachstums zeigen sich auch in der Menge der Aushubmaterialien und Baurestmassen, die durch die Bautätigkeiten entstehen. In Österreich machen sie 72,7% des Gesamtabfallaufkommens aus. Alleine im Jahr 2018 fielen knapp 37,1 Mio. Tonnen Aushubmaterial an, wobei ca. 25,9 Mio. Tonnen davon noch auf Deponien landen (Umweltbundesamt 2020).

Die Abfallmenge aus dem Bauwesen stieg auf über 11,1 Mio. Tonnen (Umweltbundesamt 2020). Das entspricht einer Nutzlast von 10 Mio. dreiachsiger LWKs. Zur Verwendung und Entsorgung wird das Material zumeist über weite Strecken transportiert und trägt zu den enormen Emissionen der Baubranche bei. Global gesehen sind 38% der CO2-Emissionen auf Bautätigkeiten zurückzuführen (UNEP 2019).

Zukunftsweisende, ressourcenschonende Maßnahmen

Ein aktiver Beitrag für effektive Klimawandelanpassungsmaßnahmen und gegen rasant ansteigende Bodenversiegelung ist die Verwendung der Aushubmaterialien und Baurest­massen vor Ort. Aushubmaterialien werden bereits zur Geländemodellierung, für Dammschüttungen oder Hinterfüllungen wiederverwendet, doch entspricht das oftmals nicht der potenziell hohen Qualität des Bodens. Die Baurestmassen können während des Bauprozesses schon sortiert und als Sekundärrohstoffe rückgewonnen werden. Eine Kombination dieser Ansätze stellt die Herstellung von Urban Mining Substraten dar.

Lösungsbeitrag: Urban Mining Substrate

„Urban Mining ist ein Denkmodell für die systematische Erfassung und Rückgewinnung der (Sekundär)Rohstoffe, die in Gebäuden, in Infrastruktur und in Produkten lagern. Dazu gehören aber auch die Forschung und die Entwicklung neuer Techniken für eine immer effizientere Rückgewinnung von Rohstoffen und für deren zukünftige, intelligente Verwendung.“ urbanmining.at

Mit dem Konzept des Urban Minings wird die Stadt zur Rohstoffquelle, indem Abbruchmaterialien wieder eine neue Verwendung finden. Die Idee ist nicht neu und wird auch schon von der EU in einem eigenen Circular Economy Action Plan forciert, um unter anderem der Bodenversiegelung entgegenzuwirken und Aushubmaterialien im Kreislauf zu halten (Europäische Kommission 2020).

Die Problematik des Urban Minings besteht darin nutzbare Materialien im Abbruch oder Aushub zu finden, sie sortenrein zu trennen und an benötigter Stelle wieder einzusetzen. Initiativen wie das BauKarussell in Österreich beweisen, dass dies absolut möglich ist, wenn die nötige Logistik dahintersteht. So können Abbruchmaterialien nicht einfach nur wieder an anderer Stelle eingesetzt werden, wie Ziegel oder Fenster, sondern auch weiterverarbeitet werden, wie Baurestmassen zu Betonzuschlag.

Der Wiedereinbau ist technisch machbar und ökonomisch sinnvoll. Es werden nicht nur Entsorgungskosten gespart, sondern auch Einnahmen durch den Weiterverkauf generiert (Hafner 2020).

Urban Mining Substrate: Re-use (vorhandene Materialien wiederverwenden)

Ein Lösungsansatz, der durch das BauKarussell auf größerer Ebene mitentwickelt wurde, ist die Gewinnung von (Sekundär-) Rohstoffen und der Wiedereinbau der Materialien über Projektgrenzen hinweg auf anderen Baustellen. Im konkreten Fall kann das bedeuten, dass Dachsubstrat auf einer Bestandshalle abgetragen und (zwischen-) gelagert wird, um dann für eine neue Dachbegrünung an einem anderen Ort eingesetzt zu werden. Je mehr Baustellen hier zusammenkommen, um Materialen auszutauschen und wiederzuverwenden, desto komplexer wird die Baulogistik.

Urban Mining Reuse Dachsubstrat - Copyright Thomas Romm
Urban Mining Reuse Dachsubstrat Big Bags - Copyright Thomas Romm
Urban Mining Reuse Dachsubstrat Wiedereinbau - Copyright Thomas Romm

Urban Mining Substrate: Re-purpose (vorhandene Materialien für einen neuen Zweck einsetzen)

Einen weiteren alternativen Lösungsansatz stellt die Aufbereitung der Aushubmaterialien dar, die, je nach Qualität, wieder als Pflanzsubstrate für die Außenraumgestaltung wiederver­wendet werden können. Einen großen Aspekt bearbeitet hier wieder die Baulogistik, die die Lagerung, Aufbereitung, Mischung und den Einbau der neu gewonnen Substrate koordinieren muss.

Der Wiederverwendung des Bodenaushubs geht eine Mengenerhebung und geotechnische, bodenchemische und -physikalische Analyse der Materialen voraus. Diese Daten sind notwendig, um die Aushubmaterialien, wie Sand und Oberboden, passgenau neuen Anwendungen zuzuführen. So kann aus Sand direkt auf der Baustelle neuer Beton fabriziert werden, die verschiedenen Bodentypen für neue Substrate oder Hinterfüllungen eingesetzt werden oder der Aushub für weitere Zwecke reserviert werden.

Im nächsten Schritt muss die (Zwischen-) Lagerung und die Aufbereitung organisiert werden. Eine effiziente Baulogistik ist hier gefragt, um die Rechtsfragen zu klären und die Materialien zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereit zu haben. Hierfür müssen nicht nur die Aushubmengen, sondern auch der Substratbedarf ermittelt werden. Danach kann bestimmt werden, welche Menge für Brechung und Siebung aufgewendet und welche vorerst gelagert wird.

Urban Mining Aushubmaterial Brechung Siebung - Copyright Thomas Romm

Begleitende Urban Mining Forschung

In Kooperation mit dem Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien (IBLB) wurden für konkrete Bauprojekte Materialzusammensetzungen ermittelt, um aus dem gewonnenen Bodenaushub qualitativ hochwertige Substrate zu schaffen.

Zuallererst richtet sich die Mischung der Substrate immer nach dem Verwendungszweck. Anhand der Nutzungsszenarien der Landschaftsplanung sind die Substratanforderungen bekannt und können nach diesen Vorgaben gemischt werden. Die Mischung erfolgt nach einem eigens am IBLB entwickelten Programm, mit welchem das Mischungsverhältnis anhand von Sieblinien nach Masse und Volumen festgelegt wird. So können für verschiedene Substrate, wie für Baumpflanzungen und Landschafts- oder Schotterrasen, fast automatisiert angepasste Mischverhältnisse ermittelt werden, die im Einbau vereinfacht umzusetzen sind.

Die Substrate sind für das Forschungsprojekt gemischt und in Mock-Ups als Vorversuch eingebaut worden, um das Pflanzenwachstum näher zu untersuchen. Der Einbau erfolgt unter Berücksichtigung der gängigen Einbautechnik und im Einklang mit Normen und Richtlinien. An der Universität für Bodenkultur Wien laufen weitere Forschungsprojekte, um auch Baurestmassen in die Entwicklung der Substrate zu integrieren. Die vielversprechenden Ergebnisse ermöglichen eine Skalierung der Vorversuche hin zu realen Bauprojekten.

Urban Mining Reuse Pflanzsubstrat Bodenaushub - Copyright Pia Minixhofer
Urban Mining Reuse Pflanzsubstrat Einbau Versuchsaufbau - Copyright Pia Minixhofer
Urban Mining Reuse Pflanzsubstrat Pflanzenwachstum - Copyright Pia Minixhofer

Vom Labor in die großmaßstäbige Umsetzung

Die Umsetzung dieser Ergebnisse erfolgte unter anderem in den Bauprojekten Wildgarten, Village im Dritten und Biotope City. Das Bauprojekt Biotope City in Wien hat eigene Kriterien für die Wiederverwertung von Baurestmassen und die Wirksamkeit für Begrünungsmaßnahmen entwickelt. Für die Biotope City wurde der Aushub vor Ort wiederverwendet, Bestandsgebäude rückgebaut und die Materialien hier und für andere Bauprojekte wieder eingebaut. Eine lokale Brech- und Siebanlage vor Ort ersparte Unmengen an CO2-Emissionen und Geld, durch den Wegfall von Abfuhr, Aufbereitung und Rücktransport zur Baustelle. Gewonnen wurde durch die lokale Aufbereitung Brechgut in verschiedenen Körnungen zur Verwendung als Drainagekies, technisches Schüttmaterial. Die Produktion von Pflanzsubtraten konnte jedoch mangels Aushubmaterial ebenso nicht realisiert werden, wie die Betonherstellung mit einer Ortbetonanlage mit vor Ort gewonnenem Sand. Allerdings konnte eben dies im Zuge der Realisierung des Stadtentwicklungsgebiets Wildgarten unter Koordination der ARE Development erstmals umgesetzt werden. Die nicht-erneuerbare Ressource Boden wurde bei diesem Projekt tatsächlich als Schutzgut behandelt und im Ausmaß von rund 14.000 m3 vor einer Deponierung bewahrt werden. Der überwiegende Teil des Bodenaushubs wurde vor Ort mit gebrochenem Sandstein vermischt und als Rasentragschicht wieder eingebaut. Rund 4.000 m3 konnten an das Projekt Village im Dritten, ebenfalls ein Stadtentwicklungsgebiet, abgegeben werden.

Urban Mining Reuse Pflanzsubstrat Einbau - Copyright Pia Minixhofer

Herausforderungen für die Umsetzung

Noch gibt es einige Herausforderungen für eine breitenwirksame Umsetzung der Urban Mining Substrate. Zurzeit fehlt es an definierten, vorgegeben Prozessen, die die Wiederverwendung und den Einbau niederschwellig ermöglichen. Mangelnde Definitionen für Qualitätskontrollen erschweren die Verbreitung der neuen Methode. In Österreich ist zudem das Interesse von Generalunternehmer*innen bei Großbaustellen noch gering, da nicht geeignete bzw. sogar hinderliche rechtliche Rahmenbedingungen in Kombination mit den unbekannten Prozessen, die im üblichen Bauprozess (noch nicht) etabliert sind, teilweise auf Unverständnis stoßen bzw. das Konzept von Urban Mining Substraten oder Circular Soil gänzlich unbekannt ist.

Zukunftsvision

Internationale und europäische Regelungen und Empfehlungen zeigen klar und deutlich in Richtung einer Circular Economy. Dies geschieht aber nicht auf Grund von Ideen und Werthaltungen bezüglich Naturschutz oder Biodiversität. Diese Regelungen sind Fakten getrieben. Sie basieren auf einem wissenschaftlichen Konsens, dass unser Wirtschaftssystem in der bestehenden Form nicht aufrecht zu erhalten ist und das Ökosystem überfordert. Die Folgen daraus treffen in erster Linie die Menschheit selbst.

Ein Schlüssel zu einer zirkulären Wirtschaft ist ohne Zweifel der nachhaltige Umgang mit limitierten Ressourcen, wie gewachsenen natürlichen Böden oder bereits verbauten Materialien und Wertstoffen.

Dazu ist es dringend erforderlich viele Herausforderungen im Zusammenhang mit Urban Mining zu lösen. Ein standardisierter Prozess muss letztlich verpflichtend für alle Projektentwickler*innen dazu führen, dass

  1. lokale Ressourcen erfasst werden,
  2. eine akkurate Mengenplanung möglich ist,
  3. die Erkenntnisse in digitale Planungstools wie BIM und Baulogistik einfließen und
  4. gewerkübergreifend geplant und umgesetzt werden kann.

Die Führungsrolle nehmen hier die Baulogistiker*innen ein, welche durch private und öffentliche Logistik Plattformen unterstützt werden.

Die vorgestellten Projekte und Ansätze haben gezeigt, dass Urban Mining und Circular Soil keine akademischen Konzepte darstellen, sondern in Großprojekten bei gutem Willen aller umgesetzt werden können. Dabei wird aber nicht nur Boden geschützt, oder Transporte und CO2 gespart, nein, es gibt tatsächlich Minderkosten für die Bauführer*innen.

Dieser Vorgeschmack des Zeitalters der Circular Economy macht optimistisch, dass in Zukunft kein Boden mehr vergeudet oder vernichtet wird und dies ganz selbstverständlich erscheinen wird, so wie heute der LKW mit wertvollen Ressourcen auf Mülldeponien fährt.


Quellen und weiterführende Information:

Biotope City Wien 2018: Biotope City is smart – Blue Global Report Smart Cities #12/2018. Link: https://smartcities.klimafonds.gv.at/wp-content/uploads/sites/3/BGR12_2018_Biotope-City.pdf

Kommission 2020: A new Circular Economy Action Plan. Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1583933814386&uri=COM:2020:98:FIN

Sebastian Hafner 2020: Aus alt mach neu – Social Urban Mining (Progress 01/20, S.24-25). Link: https://www.progress-online.at/files/PROGRESS_0220_web.pdf – S.24-25

Umweltbundesamt 2020: Abfallwirtschaftliche Daten. Link: https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/abfall/abfall-daten

UN 2018: 2018 Revision of the World Urbanization Prospects. Link:  https://www.un.org/development/desa/en/news/population/2018-revision-of-world-urbanization-prospects.html

UNEP 2019: 2019 Global Status Report for Buildings and Construction Sector. Link:  https://www.unenvironment.org/resources/publication/2019-global-status-report-buildings-and-construction-sector