Der britische Wissenschaftler James Lovelock, der im Alter von 103 Jahren starb, war für seine berühmte „Gaia-Hypothese“ bekannt. Die Hypothese beschreibt, dass die Erde in der Lage ist, sich selbst zu regulieren.

„In unserer Zeit ist es unmoralisch, über 100 Jahre alt werden zu wollen“. Diese Worte sagte der 86-jährige James Lovelock 2006 in einem Interview mit dem Chefredakteur von Reporterre, als er noch bei Le Monde arbeitete. Am Dienstag, den 26. Juli, starb der Wissenschaftler, der die „Gaia-Hypothese“ entwickelt hatte, im Alter von 103 Jahren in seinem Haus in Dorset (England) an den Folgen eines schweren Sturzes, den er vor sechs Monaten erlitten hatte. Er hatte also noch genügend Zeit, um tausend Leben auszuprobieren, verschiedene Geräte zu erfinden und ein Dutzend Bücher zu schreiben, darunter Gaia: A New Look at Life on Earth (Oxford University Press, 1979).

James Lovelock wurde 1919 in der englischen Stadt Letchworth Garden City geboren. 1941 machte er seinen Abschluss an der Universität Manchester, wo er Chemie studierte. Anschließend begann er, beim Medical Research Council in London zu arbeiten. Er war ein sehr geschickter und erfindungsreicher Ingenieur, der fast zwanzig Jahre lang an der Entwicklung neuer Messinstrumente, der Übertragung von Infektionen oder der Wirkung von Wärme auf biologisches Gewebe mitwirkte. Berühmt wurde er vor allem durch die Entwicklung des Elektroneneinfangdetektors (ECD) im Jahr 1957. Dieses Gerät, mit dem bis dahin unbestimmbare Grenzwerte für die Umweltverschmutzung ermittelt werden konnten, wurde zu einem unverzichtbaren Instrument in den Labors. Das ECD ermöglichte Messungen von chemischen Verbindungen, deren Empfindlichkeit um mehrere Größenordnungen höher war als die der damaligen Instrumente. So konnte beispielsweise das Vorhandensein von ozonschädigenden Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) in der oberen Atmosphäre nachgewiesen werden.

Doktor der Medizin, Professor für Chemie, Berater für die Firma Shell… Ab den 1960er Jahren arbeitete Lovelock als Freiberufler, seine Messinstrumente wurden besonders von Chemie- und Ölfirmen wie Imperial Chemical industries, DuPont de Nemours und vor allem Shell eingesetzt. Zeit seines Lebens hatte James Lovelock viele Hüte auf – ein Accessoire, das er gerne trug, wenn man den letzten Fotos glaubt, die von ihm gemacht wurden – und verwirrte damit seine Kollegen und die akademische Welt, die dieser unabhängige Mann mit seiner manchmal kontroversen Arbeit mied.

Seine Karriere nahm in den 1960er Jahren einen Wendepunkt: Die Nasa lud ihn in die USA ein, um Instrumente zu entwickeln, mit denen man Bodenproben vom Mars entnehmen konnte. Die Idee hinter den verschiedenen Experimenten: Man wollte herausfinden, ob auf dem Mars Spuren von Leben zu finden sind oder nicht. „Es stellte sich heraus, dass die Marsatmosphäre völlig ausgeglichen war und dass es dort kein Leben gab. Auf der Erde gibt es jedoch eine außergewöhnliche Atmosphäre mit einem sehr reaktiven Gas, dem Sauerstoff: Sie müsste sehr instabil sein, bleibt aber trotzdem immer auf dem gleichen, lebensfreundlichen Niveau. Daraus können Sie schließen, dass etwas sie regulieren muss, damit sie konstant bleibt“, erzählte er uns 2006 und erklärte gleichzeitig seinen intellektuellen Werdegang, der ihn zur „Gaia-Hypothese“ geführt hat. Wie der Forscher Sébastien Dutreuil, der ihm seine Doktorarbeit gewidmet hat, erklärt, entwickelte Lovelock seine Theorie ab 1965 als „einen allgemeinen Rahmen, um das Phänomen der globalen Verschmutzung zu denken“.

Laut Lovelock, Hitchcock und Margulis ist das Leben auf der Erde eine sich selbst regulierende Gemeinschaft von Organismen. Pxhere / CC

Er entwarf die Theorie gemeinsam mit der Pentagon-Beraterin Dian Hitchcock und später mit Lynn Margulis. Diese war Biologin und ergänzte Lovelocks geochemische Expertise. Ihr wegweisender Artikel über die Gaia-Hypothese erschien 1974 in Tellus: „Die Gesamtheit der lebenden Organismen, die die Biosphäre bilden, kann als eine Einheit agieren, um die chemische Zusammensetzung, den pH-Wert der Oberfläche und möglicherweise das Klima zu regulieren“. Sie griffen die Idee der Homöostase auf – die Tatsache, dass ein lebender Organismus sich trotz stark variierender äußerer Bedingungen am Leben erhält – und stellten fest, dass der Planet Erde im Gegensatz zu allen anderen bekannten Planeten diese Fähigkeit seit drei Milliarden Jahren zeigt, und behaupteten, dass das Leben auf der Erde eine sich selbst regulierende Gemeinschaft von Organismen ist, wobei die Organismen untereinander und mit ihrer physischen Umgebung interagieren.

Die Theorie begann sich in den 1980er Jahren zu verbreiten und stieß in der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf großes Interesse. Sie wurde von Biologen wie dem berühmten Genetiker Richard Dawkins heftig kritisiert, weil sie andeutete, dass sich die Erde weiterentwickeln könnte. Diese Kritik wird durch die Tatsache gestützt, dass die Gaia-Hypothese – die „Muttergöttin“ in der griechischen Mythologie – manchmal von einer New-Age-Esoterik aufgegriffen wurde und dass Lovelock selbst immer mehrere Register gezogen hat, zwischen strenger Wissenschaft und einer Popularisierung für die breite Öffentlichkeit mit verschwommenen Konzepten. Wie Sébastien Dutreuil betont, wurde die Gaia-Hypothese jedoch in der Gemeinschaft der Geowissenschaften und der Klimatologie gut aufgenommen und trug dazu bei, die Grenze zwischen Geologie und Biologie zu senken.

Eine begründende und anregende Hypothese

Für den Wissenschaftsphilosophen Bruno Latour hat „Lovelocks theoretischer Vorschlag in der Geschichte des menschlichen Wissens die gleiche Bedeutung wie der von Galileo Galilei“. Was Lovelock nicht daran hinderte, FCKWs, das Insektizid DDT, Schiefergas oder die Kernenergie zu verteidigen – seine beruflichen Verbindungen zur Industrie erklären weitgehend seine öffentlichen Positionen. Nichtsdestotrotz bleibt die Gaia-Hypothese wegweisend und anregend.

Der in Frankreich wenig (oder gar nicht) bekannte, aber überall auf der Welt berühmte Vater von vier Kindern, dessen Familie in der Mitteilung über seinen Tod seine Fröhlichkeit und seinen Sinn für Humor lobte, wurde regelmäßig in der britischen Presse interviewt. Er war nie um eine schockierende Formulierung verlegen, um vor dem Klimawandel zu warnen – ein Phänomen, das er laut Jonathan Watts, dem Leiter der Umweltredaktion des Guardian, „Jahrzehnte“ vor anderen Wissenschaftlern erkannt hatte. Am Ende seines Lebens war James Lovelock der Meinung, dass es zu spät sei, um einige der schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise noch aufzuhalten.

Die Redaktion: dieser Artikel ist mit Dank dem französischen online-Magazin „Peporterre‘ entnommen, einem sehr lesenswerten Magazin, das täglich die allgemeinen politischen Nachrichten auf ihre ökologischen Auswirkungen durchleuchtet – empfehlenswert für alle, die französisch lesen oder die Sprache wieder auffrischn wollen! https://tinyurl.com/3f26c6a2