Gebäudebegrünung wird schon seit Jahrhunderten im Bauwesen angewendet und ist daher kein Phänomen der Neuzeit. Auf der Welt lassen sich überall Indizien der Gebäudebegrünung finden. Angefangen bei den Gras bewachsenen Torfhäusern in Island bis hin zum japanischen Blauregen. Doch ältestes und wahrscheinlich auch bekanntestes Beispiel sind die Hängenden Gärten der Semiramis, eines der sieben antiken Weltwunder. (Abb. 1)

Abb. 1 Die Hängenden Gärten der Semiramis

Das architektonische Wunderwerk wurde laut Mythen von König Nebukadnezars 600 v. Chr. in Babylon angelegt, als Geschenk seiner Frau, die die grünen Berge ihrer Heimat vermisste (1). 2013 wurde diese Geschichte von einer Forscherin der Uni Oxford mit aussagekräftigen Beweisen widerlegt, denn sie glaubt, dass die Hängenden Gärten nicht in Babylon, sondern in Ninive von König Sanherib entstanden sind (2). Für diesen Artikel ist der Entstehungsort der Hängenden Gärten grundsätzlich irrelevant, was jedoch von Interesse ist, ist, dass die Bepflanzung nicht nur auf ebener Erde, sondern auch in der Höhe, zum Beispiel auf dem Dach oder der Fassade stattfanden (3).

 Neben den Erzählungen von grünen Mythen wird auch bereits in der Bibel eine Art der Gebäudebegrünung beschrieben – die Weinreben. Der Weinstock ist hierbei die am häufigsten erwähnte Pflanze in der Bibel (4). Im Buch Genesis wird unter anderem Noah als erster Winzer erwähnt, der nach dem Aufenthalt auf der Arche Weinreben kultivierte (5).

Hinweise auf Wandbepflanzungen wie Weinreben und Efeu findet man insbesondere zur Zeit des Mittelalters wieder. Seit dieser Epoche kann man Bewuchs an Fassaden von Gebäuden finden. Während Efeu wild wuchs, wurden die Weinreben, aber auch Obst gezielt an Gebäudefassaden gezüchtet. (Abb. 2) Diese konnte man oftmals an Mauern von Klöstern finden, da sich die Reben aufgrund der gespeicherten Wärme an Hauswänden deutlich besser entwickeln konnten (6).

Abb.2 Begrünte mittelalterliche Gebäudeteile, Paris, 5. arr.

In der Zeit des Barocks und der Renaissance legte man gezielt den Fokus auf Bauwerksbegrünung, da die Gartenkunst einen zentralen Aspekt ausmachte (7). Die Wände von Schlössern und anderen repräsentativen Bauten wurden begrünt, wie unter anderem das ehemalige Riesaer Kloster, das mit Blauregen begrünt ist (Abb. 3). 

Abb. 3 Ansichtskarte des Riesa Rathaus von 1917

Vor allem fanden dabei Kletterpflanzen und Spalierobst in den pflanzen-architektonisch angelegten Landschaftsgärten Anwendung (8). In der Epoche des Klassizismus setzte sich vieles aus dem Barock fort und Kletterpflanzen wurden als Akzent baulicher Elemente verwendet. Klassizistische Villen, Landhäuser und Burgen von Karl Friedrich Schinkel können hier als Beispiele dienen. Darunter die denkmalgeschützte Burg Waldstein und die Römischen Bäder in Potsdam im Park Sanssouci (Abb. 4).

Abb.4 Römische Bäder in Potsdam, Dach der Akademiehalle, Potsdam, Aquarell mit Deckfarbe von August Wilhelm Ferdinand Schirmer 1937. Aqurellensammlung Potsdam.

Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung der industriezeitlichen Stadtentwicklung entstand die Gartenstadtbewegung. Der Engländer Ebenzer Howard entwickelte hierzu erste Ideen eines neuen Stadtmodells, die ein Stadtleben auf dem Land vorsah. Zuerst in England, später dann auch in Deutschland sollten neue Siedlungseinheiten entstehen, die das Wohnen und Leben in der Stadt und auf dem Land miteinander kombinieren sollten. Wichtige Leitmotive der Gartenstadt waren neben der nicht-Segregation sozialer Schichten die Selbstständigkeit. Denn die neuen Städte basierten auf einer Unabhängigkeit durch Selbstversorgung, die wiederum durch die angebauten Grünflächen sicher gestellt werden konnten. Mit Hilfe des Baus der neuen Gartenstädte sollten die Großstädte entlastet und der Zuzug der Landbevölkerung in die Stadt gestoppt werden. Ziel: ein gesundes Leben auch innerhalb der Städte. Bei der Planung der Siedlungseinheiten wurde insbesondere der Fokus auf die Bepflanzung von Grünflächen gelegt und der „Kletterpflanzenboom“ erreichte ihren ersten Höhepunkt innerhalb der Gartengestaltung (10). Marienbrunn, ein Ortsteil in Leipzig, orientierte sich Anfang des 20. Jahrhunderts an die moderne Gartenstadtidee und ließ Rankhilfen für wilden Wein an die Hausfassaden anbauen. (Abb. 5)

Abb.5 Ansichtskarte der Gartenvorstadt Leipzig-Marienbrunn mit Denkmalblick, Leibniz-Institut für Länderkunde, Archiv für Geographie, PKL-Ausst211, 1913 Leipzig. 

Die Idee der Selbstversorgung setzte sich auch in den 1920er-Jahren fort. Favoriten waren unter anderem Obstspaliere, eine besondere Form der Fassadenbegrünung. Ein bekannter Landschaftsarchitekt, der diese Art der Gebäudebegrünung am Wohnungsbau förderte, war Leberecht Migge. Er stellte nämlich fest: „Jede Pergola, jede Spalierobstmauer und Hauswand ist ein Beispiel für die mögliche Verschwisterung von Architektur und Natur im Garten […]“ (10), und „Sprecht nicht mehr von Großstadtelend und Lastern–Blumen und Grün werden sie heilen: Gärten sind die Reaktion der großen Städte.(11). Er setzte damit eine Tradition um, die in Bauernhäusern Bayerns üblich war und bis zum heutigen Tag gepflegt wird. (Abb. 6)

Abb. 6. Spalierobst am Gemeindehaus von Oberstaufen im Allgäu

In der direkten Nachkriegszeit stand vor allem der Wiederaufbau der Stadt im Fokus. Dabei lag das gesellschaftliche Interesse vor allem dem Wirtschaftswachstum zugrunde und nicht der Gebäudebegrünung. In den Veröffentlichungen der frühen Nachkriegszeit spielten Kletterpflanzen bestenfalls im Bereich der Gartengestaltung eine Rolle (11).

Die Fassadenbegrünung wurde erst in den 1980er-Jahren, in der sogenannten „Ökobewegung“ wieder zum Leben erweckt (12). Das hatte vor allem den Grund, dass das öffentliche Interesse an ökologischen Themen zu dieser Zeit deutlich zunahm, ausgelöst durch Katastrophen wie das Waldsterben oder der Reaktorunfall in Tschernobyl. Somit nahm die Verfolgung ökologischer Belange bei der Planung und dem Umbau von Großstädten zu und wurde zu einem, wenn auch nur sehr partielle beachteten Thema.

Während in den Jahrzehnten davor der Fokus der Gebäudebegrünung auf Verzierung und aus praktischen Punkten bestand, war die Begrünung im Kontext der Umwelt-Bewegung durch ökologische Gesichtspunkte motiviert. Es wurden erstmals größere empirische Experimente durchgeführt, die zum Beispiel den Einfluss von Begrünungen auf den Wärme- und Feuchtehaushalt von Außenwänden untersuchten (13).  Zur selben Zeit wurden Förderprogramme zur Fassadenbegrünung in Großstädten initiiert und durch Bebauungspläne ermöglicht (14). Erstmals lassen sich Dach- und Fassadenbegrünungen im geförderten Wohnbau als klassische Formen der Gebäudebegrünung finden (15). Ein interessantes Beispiel ist hierbei der von Harry Glück entworfene Wohnpark Alterlaa, der mithilfe von großen Pflanztrögen eine lebendige grüne Fläche an Wohnhäusern entstehen ließ. (Abb.7 )

Abb.7 Wohnsiedlung Alterlaa, Wien. Architekt Harry Glück.

Einen weiteren Schub erhielt die Gebäudebegrünung in jüngster Zeit im Kontext des Klimawandels. Ab den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden meteorologische Messungen bekannt, die auf einen beschleunigten Anstieg der Temperaturen hinwiesen. Ab den 90er-Jahren machten Biologen auf die klimasenkende Auswirkung von Grün aufmerksam. Zu Beginn des neuen Jahrtausends präsentierte die niederländisch/deutsche Stadtplanerin Helga Fassbinder ein Konzept, das beide Erkenntnisse verband mit den Fakten zunehmender Weltbevölkerung und der Notwendigkeit dichten urbanen Bauens: Biotope City, die dichte Stadt als Natur (16). Dieses Konzept rückt die Gebäudebegrünung als Dachbegrünung und Fassadenbegrünung in den Mittelpunkt und verbindet es mit dem Kampf gegen weitere Biodiversitätsverlust aufgrund von Stadterweiterung. In Wien wurde mit der Biotope City Wienerberg ein Modell-Projekt nach diesem Konzept errichtet, das in Fachkreisen große Aufmerksamkeit erzielte und als eines der Pilotprojekte der Internationalen Bauausstellung Wien 2022 vielfach von Delegationen aus diversen Ländern besucht wurde. (Abb.8)

Abb.8 Biotope City Wienerberg. (Fotos Helga Fassbinder)

Inzwischen haben eine Reihe von Großtädten den Nutzen einer intensiven Begrünung ihrer dichten Stadtgebiete erkannt und teilweise auch Verpflichtungen zur Gebäudebegrünung in ihre Bauvorschriften aufgenommen. Dabei ist nicht allein der Effekt der Begrünung als temperatursenkend und gleichzeitig kostensparend ohne jeglichen Energieverbrauch ausschlaggebend, sondern auch die positiven Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und sozialen Umgang.

Fussnoten

(1)  Vgl. ARD: Babylon – die hängenden Gärten der Semimaris (2014), in: [URL: https://www.youtube.com/watch?v=ho-tU4HPtTU0] (abgerufen am 15.11.2021).

(2)  Vgl. o. A.: Hängende Gärten von Babylon existierten tatsächlich – in Ninive (06.05.2013), in: Süddeutsche Zeitung [URL: https://www.sueddeutsche.de/wissen/mythos-weltwunder-haengende-gaerten-von-babylon-existierten-tatsaech-lich-in-ninive-1.1666455] (abgerufen am 15.11.2021).

(3)  Vgl. Opitz, Michael: Grünes Weltwunder (26.03.2020), in: Deutschlandfunk Kultur [URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/stefan-schweizer-die-haengenden-gaerten-von-babylon-gruenes.1270.de.html?dram:article_id=473104] (abgerufen am 15.11.2021).

(4)  Vgl. Deutsche Bibelgesellschaft: Stichwort: Weinstock, in: Die Bibel [URL:https://www.die-bibel.de/lightbox/basisbibel/sachwort/sachwort/anzeigen/details/weinstock/] (abgerufen am 15.11.2021).

(5)  Vgl. Lutherbibel: Gottesbund mit Noah, in: 1.Mose 9,20-27.

(6)  Vgl. Taraba, Sven: Romanik und Gotik („Mittelalter“, ca. 800 – 1500), in: Fassadengrün e. K. [URL: https://www.fassadengruen.de/mittelalter.html] (abgerufen am 05.12.2021).

(7)  Vgl. Linke, Tony: Gebäudebegrünung als Lärmschutzmaßnahme im innerstädtischen Raum –
Welchen Beitrag können Dach- und Fassadenbegrünungen zum Lärmschutz leisten?, Hamburg 2017, S. 37.

(8)  Vgl. Ebd., S. 37.
(9)  Vgl. Climagrün GmbH: Living Buildings, Bozen 2016, S. 5.

(10)  Migge, Leberecht: Die Gartenkultur des 20. Jahrhunderts, Jena 1913, S. 96. 

(11)  Vgl. Radtke, Ulrich: „Ich dachte, das Thema ist durch?“, in: LA Landschaftsarchitektur, Nr. 12, Hamburg 2000, S. 25.

(12)  Vgl. Linke 2017, S. 39.

(13)  Vgl. Kießl, K.; Rath, J.: Auswirkungen von Fassadenbegrünung auf den Wärme- und Feuchtehaushalt von Außen- wänden und Schadensrisiko. Bericht aus dem Fraunhofer Institut für Bauphysik. Stuttgart 1989.

(14)  Vgl. Radtke 2000, S. 25.

(15)  Vgl. Reinwald, Florian, Weichselbaumer,Roswitha und Ring, Zita: Gebäudebegrünung im geförderten Wohnungsbau, in: Quartier. Fachmagazin für urbanen Wohnungsbau, Merching 2020, S. 8.

(16) Fassbinder, Helga: Biotope City, die Gartenstadt des 21. Jahrhunderts, in: Biotope City [URL: https://biotope-city.net/biotope-city-die-gartenstadt-des-21-jahrhunderts-2/]