STADT ALS NATUR: EINE KEHRTWENDE IN ARCHITEKTUR UND STADTPLANUNG
Helga Fassbinder
Vortrag bei Movium, Swedish Landscape University, Alnarp, Konferenz ‚Livet i staden 2012‘, 26.jan.2012
Mit ihrer Weihnachtansprache 2011 hat die niederländische Köningin Beatrix ihr Volk mit einer bemerkenswerten Rede überrascht. Ein Zitat: “Care is not just about individual welfare but about the welfare of all and about the stewardship of the earth. With our precious planet is handled carelessly and what it gives us is poorly distributed…..Selfishness and the desire to create abundance blind to the damage to our natural environment and undermine community. View the finiteness of what the earth can give.”
Die Natur der Welt ist in Gefahr, wir müssen sorgsam mit der Natur umgehen, anderfalls zerstören wir unsere natürliche Basis und unterminieren unsere Gesellschaft, das war die Botschaft.
Die Rede stiess auf grosse Zustimmung in der breiten Oeffentlichkeit und bei verschiedenen Wissenschaftlern. Freilich gab es auch Leser-Zuschriften an die Tageszeiten mit dem empörtem Aufschrei: ist die Königin mit einem Mal zu einer Propagandistin der Grünen geworden? Doch diese Töne waren eher die Ausnahme.
Allgemein ist zu beobachten, dass das Thema Naturausbeutung und Gefährdung unserer Erde die politischen Grenzen zu uebersteigen beginnt. Ein guter Beweis dafür ist der Atomausstieg in Deutschland – vor Jahren durchgesetzt von der damaligen rot-grünen Regierung, von der darauffolgenden konservativen Regierung rueckgängig gemacht, und nun durch eben diese Regierung beschlossen.
Aber doch liegen darunter immer noch kontroverse Positionen, die warnen vor einem Abrücken vom bisher eingeschlagenen Weg des technischen Fortschritts in Sachen Energieversorgung, der auf Atomstrom setzte. Manchmal sind diese Positionen eindeutig identifizierbar als durch wirtschaftliche Interessen bestimmt. Manchmal liegt die Sache komplizierter, schwerer begreiflich.
Ein solcher Fall ist ein Star der Disziplinen Architektur und Städtebau: Rem Koolhaas. In einem Essay, der zu Beginn des vergangenen Jahres in dem dicken Harvard-Reader ‚Ecological Urbanisme‘ veröffentlicht worden ist, scheidet er die Positionen, die in Architektur und Urbanismus eingenommen werden, in zwei Richtungen: Fortschritt und Apocalypse. Er sagt, auf Klartext gebracht: es gibt eine Dichotomie zwischen Rationalität und Naturverhaftung, wobei letztere apokalytischen Vorstellungen zuneigt – diese Dichotomie zieht sich durch die gesamte europäische Geschichte und zeigt sich nun wieder in den grünen Positionen.
Den Prognosen der Gefährdung von Natur und menschlichem Leben auf unserem Planeten bescheinigt er einen Mangel an Rationalität. Fuer ihn gilt ganz offensichtlich nach wie vor unverkürzt die Idee, dass es der ‚Fortschritt‘ durch Technologieentwicklung ist, der die Bewältigung der globalen Umweltprobleme garantiert. Grüne Lösungen hingegen übersteigen in seinen Augen kaum den Wert einer grünen Dekoration – er führt selbst das böse Wort vom ‚Greenwash‘ an.
Sollten die kritischen Diskussionen zu Fortschritt und Machbarkeit unserer Lebensbedingungen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geführt worden sind, an ihm vorbeigegangen sein?
Kurz vor dem Weihnachtsfest 2011 wurde Koolhaas bei einem Besuch in Hamburg von dem deutschen Wochenmagazin DER SPIEGEL interviewd. Anlass war die gerade fertiggestellte Hafencity, ein Areal, an dem von ‚green architecture‘ und ‚greening the city‘ kaum etwas zu finden ist.
“Wie finden Sie diese Architektur? Die sieht doch in der ganzen Welt gleich aus”, fragte ihn der Journalist. Seine Antwort war: No problem, im Gegenteil: die Menschen fluten aus den verschiedensten Ländern der Erde in weit entfernte Städte, oft nur für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt – und diese internationale Architektur macht, dass sie sich überall heimisch finden können.
Ich hoere ein Argument, das 100 Jahre alt ist und genuin der Moderne zugehört.
Koolhaas wird kaum die alarmierenden Prognosen verschlafen haben, die Beatrix zu ihrer Warnung veranlasst haben. Will er vor allem gegen den Fatalismus reden, der – das ist nicht zu uebersehen – sich doch bei nicht wenigen Menschen eingestellt hat? Ist seine negative Einschätzung eines grünen Umschwungs vielleicht sogar zurecht? Geht es wirklich nur um modischen ‚Greenwash‘? Oder hat sein Buro derzeit einfach nicht die Kenntnis im Haus, um nicht nur mit grossen infrastrukturellen Ideenprojekten aufzuwarten, sondern auch beim konkreten Bauen von Bureaus und Wohnungen mit einem Foster, Ken Yeang, Woha u. a. mithalten zu koennen, Architekten, die Nachhaltigkeit und Grün zu ihren Ausgangspunkten erklärt haben? Bei vielen Architekten und Stadtplanern scheint mir das Festhalten an den gangbaren Bauweisen und Planungen auch daher zu rühren, dass sie sich die schnell wachsende Kenntnis von ‚green building‘ und ‚green planning‘ noch nicht angeeignet haben.
Ich würde die Äusserungen von Rem Koolhaas erstaunt beiseite legen und weiter an dem arbeiten, was ich für wichtig halte in unserer Zeit, mag es auch mit Untergangsdenken und evtl. sogar Regionalismus belegt werden, wäre er nicht eine einflussreiche Persönlichkeit in unserem Fach. Daher fühle ich mich doch aufgerufen, seiner Haltung meine Kritik entgegen zu setzen.
Hat diese so gepriesene Kombination von Rationalismus und Internationalismus in der Vergangenheit in der Masse der Bauten wirklich zu solch positiven Ergebnissen gefuehrt?
Ein Blick zurück in das industrielle Bauen nach dem 2. Weltkrieg
Werfen wir einen kurzen Blick zurück auf das rationale moderne Bauen nach dem zweiten Weltkrieg. Ausgangspunkt war die grosse Wohnungsnot nach dem Kriege in ganz Mitteleuropa. Die Bauproduktionsmaschine musste angeworfen werden und auf Hochtouren Wohnungen produzieren. Die Rationalität industrieller Bauproduktion setzt sich breit durch. Das, was in den 20er und 30er Jahren Massenwohnungsbau genannt worden war, wurde nun tatsächlich massenhafte Realität.
Das hatte aber auch seine Auswirkungen auf die Qualität. Aus verschiedenen Richtungen erhob sich bereits Ende der 50er Jahre Kritik, vor allem von der jüngeren Architekten-Generation. Diese Kritk kam aus drei Richtungen:
– fehlende Partizipation der Bewohner
– Verwendung ungesunder Baustoffe
– Vernachlässigung der Naturbedingungen
Schon Ende der 50er Jahre rebellierten junge Architekten mit später grossen Namen gegen den kalten Rationalismus von CIAM. Sie gründeten die Gruppe Team 10 und erklärten: “Functionalism has killed creativity and is leading to a chilly technocracy, where the human is forgotten. A building is more than listing functions; architecture has to make human activities possible and has to support social contacts“.
1961 untersuchte der junge John Habraken das industrielle Bauprodukt, das fix und fertig über die Wohnungssuchenden ausgeschüttet wurde, ohne dass der Konsument seine Präferenzen geltend machen konnte. Habraken kam mit der Idee der Trennung der Tragstruktur und den Einbauten, deren Gestaltung den Bewohners selbst überlassen werden kann. Darin sah er die Möglichkeit von freier, direkter Entscheidung der zukünftigen Bewohner über ihre Wohnung: Partizipation im industrialisierten Wohnungsbau. Sein Buch “De Dragers en de Mensen” wurde weltweit bekannt und in viele Sprachen übersetzt.
Auch auf der konkreten Ebene der Bausstoffe erhob sich Kritik. In Deutschland gab in den 60er Jahren der Arzt Hubert Palm den Anstoss zu einem gesunden Bauen mit seiner Publikation “Das Gesunde Haus”, das dann in den 70er Jahren zur Gründung des Instituts für Baubiologie führte. Dieses Institut beschäftigt sich mit den Einwirkungen von verwendeten Baustoffen auf Menschen innerhalb des Hauses und im unmittelbaren Wohnumfeld. Baubiologie ist inzwischen eine Spezialisierung unter Architekten. Heute ist diese Herangehensweise in die Zielsetzung der Nachhaltigkeit (Sustainability) integriert.
Ebenfalls in den 60er Jahren gründeten JacobBakema, Aldo van Eyck, Herman Hertzberger und andere die Forum-Gruppe. Sie nahmen u.a. auch die Vernachlässigung der Umweltbedingungen ins Vesier. Nachdrücklich forderten sie, die natürliche Umwelt zu untersuchen und die Naturkräfte mitwirken zu lassen.
1969 errang Bernard Rudofsky weltweite Aufmerksamkeit mit der Ausstellung ‚Architecture without architects‚ im Museum for Modern Art in New York. Seine Sammlung von Beispielen ist ein einziger Aufruf, auszugehen von den lokalen Bedingungen des Bauens und die natürlichen Umstände zu beruecksichtigen. Der Ausstellungskatalog wurde ein einflussreiches Buch unter jungen Architekten.
Im selben Jahr veroeffentlicht Ian L. McHarg ‚Design with Nature‘: ein Ruf nach ökologischem Planen avant la lettre, könnte man meinen – aber er benutzt den Begriff Ökologie sogar bereits. Sein Buch wird heute noch als eine Bibel des ökologischen Planens betrachtet.
Diese Gegenbewegungen und Warnungen erzielten jedoch wenig Effekt. Der Mainstream des Bauens ging weiter auf der Schiene des Fortschritts, der sog. Rationalität des industriellen Bauens. Man braucht nicht weit zu suchen, um die Beweggruende zu finden, warum diese Signale unberücksichtigt blieben. Und es geht immer noch weiter so an vielen Orten…
Mensch und Technik – eine philosophische Diskussion
Parallel zu diesen Protesten gegen den Mainstreams des Bauens entbrannte eine Diskussion über das Verhältnis von Mensch u Technik und Natur und Technik. Auch heute noch interessant ist die Position des Philosophen Martin Heidegger.
In der modernen Technik sah Heidegger nicht allein, wie sonst üblich, ein neutrales Mittel zum Erreichen von Zwecken. Stattdessen versuchte er zu zeigen, dass mit der modernen Technik auch eine veränderte Auffassung der Welt einhergehe. So wird nach Heidegger durch die Technik die Erde in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarmachung betrachtet. Wegen ihrer globalen Verbreitung und der damit verbundenen schonungslosen „Vernutzung“ natürlicher Ressourcen sah Heidegger in der Technik eine unabweisbare Gefahr.
„Der Mensch ist auf dem Sprunge, sich auf das Ganze der Erde und ihrer Atmosphäre zu stürzen, das verborgene Walten der Natur in der Form von Kräften an sich zu reißen und den Geschichtsgang dem Planen und Ordnen einer Erdregierung zu unterwerfen.”
Das hört sich zunächst nach Technikpessimismus an – und so ist Heidegger auch von vielen verstanden worden. Im seinem Vortrag „Die Kehre“ hat Heidegger sich dann jedoch von dem unterstellten Technikpessimismus distanziert und betont, daß in der modernen Technik als Weise des Entbergens (dh also des Sichtbarmachens der Geheimnisse der Natur, also ihrer Gesetze), nicht nur die Gefahr, sondern auch das „Rettende“ vorhanden sei. Das einzige, das die Menschen für Heidegger in der Situation höchster Gefahr haben, ist das Bewußtsein der Gefahr. Dies ermögliche eine Kehre, eine Umkehr in dem Sinn, dass dieses verfremdete Verhältnis zur Natur erkannt wird und eine Umkehr stattfindet.
Ich interpretiere diese Umkehr als eine Rückkehr zum Respekt vor der Natur, Respekt vor allen Formen des Seins, und Rückkehr zu einer Technikentwicklung im Einklang mit den Bedingungen der Natur in ihrer zyklischen Regeneration. Und ich bin der Meinung, dass die Skala der uns bedrohenden globalen Gefahren nicht als apokalyptische Angstmacherei zu verstehen ist, sondern zum Bewusstseins der Gefahr führen sollte. Dies, damit wir ganz rational darauf reagieren können mit der Suche nach Techniken und Verfahren, die den Gleichklang mit der Natur wieder herstellen können. Hierin sehe ich das Heideggersche ‚Rettende im Bewusstsein höchster Gefahr‘.
Koexistenz zwischen Natur und Technologie
Was kann eine Koexistenz zwischen Natur und Technologie beinhalten?
Ich will das am einfachen Beispiel der Klimabedingungen im Inneren eines Gebäudes illustrieren:
Die Nutzung natürlicher Luftströme versus air-conditioning, wie sie heute noch immer üblich ist, nicht nur den wärmeren Ländern und Gegenden mit heissen Sommern (wie etwas New York), sondern leider auch in Mitteleuropa. Rudofsky hat auf die Ausnützung natürlicher Winde zur Durchlüftung der Häuser in traditionellen Bauweisen hingeweisen, bei denen windfangende Öffnungen in die Hauptwindrichtung plaziert werden.
Ich schlage einen Bogen zwischen den Forderungen der Forum-Bewegung und Rudofskys Hinweisen zu den skyscrapers in subtropischen Gebieten ohne Klimaanlage, wie sie von Ken Yeang, Woha u.a. gebaut werden. Mit ihren ‚green high tech projects‘ wird ein anderes Verhältnis zur Natur verfolgt, ein die Natur schonendes, eines, das versucht, den Weg der Baubiologie mit avanciertesten Methoden zu bewandeln.
Statt der Dichotomie von Advancement and Apocalypse sehe ich im Gegenteil eine neue, ermutigende Verbindung zwischen Technik und Natur, die aus der Wahrnehmung der Bedrohung entspringt. Eine Verbindung, die der Vielfalt von Umweltbedingungen und der Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit gerecht wird.
Diese neue Verbindung könnte die renttende Umkehr, die ‚Kehre‘ im Heideggerschen Sinn darstellen. Die Stadt und der urbane Mensch sind dann nicht mehr der Ort der Ausbeutung der Natur und der Ort der Ansammlung der Ausbeutenden. Die Stadt wird vielmehr zu einem Ort der Re-integration von Natur und ihrem ‚Teilprodukt‘, ihrem Geschöpf Mensch.
Ansätze dieser Koexistenz sind bereits wahrnehmbar: die Biodiversität ist in der Stadt höher als auf dem Lande. Einerseits ist das natürlich Folge der Naturausbeutung durch die Agrarwirtschaft, die mit ihrem Monokulturen den ländlichen Lebensraum drastisch verarmt hat: es findet eine Landflucht von Flora und Fauna statt. Andererseits ist es aber auch eine Folge der Vielfalt von unterschiedlichen Lebensbedingungen in der Stadt. Diese Vielfalt produzieren, benötigen und geniessen nicht nur wir Menschen in unserer Unterschiedlichkeit, sondern ebenfalls die anderen Arten von organischem leben: Flora und Fauna.
Diese neue Koexistenz zwischen ‚Stadt‘ und ‚Natur‘ überwindet den Gegensatz zwischen hochentwickelter Technik einerseits und traditionellen Verfahren andrerseits – sie verbindet vielmehr beide Wege. ‚Greening‘ ist der sichtbare Ausdruck dieser Koexistenz.
Warum also immer noch die Abwehr gegen ‚greening‘ unter Architekten, wie sie Rem Koolhaas ausdrückt?
Es gibt ja namhafte Architekten, die diese Abwehr nicht zeigen: Erst in jüngerer Zeit haben sich einige tonangebene Architekten daran gewagt, mit Grün zu experimentieren – auch im ästhetischen Sinn. Weltweit berühmt geworden sind die beiden Resultate der Kooperation des Architekten Jean Nouvel und des Biologen Patrick Blanc: das Musée du Quai Branly und das Maison Cartier, beide in Paris. Auch andere Architekten mit bekannten Namen arbeiten mit ‚greening‘, wie Edouard François, Ton Venhoeven, Renzo Piano, und Stefan Boeri .
Auch in Asien gibt auch inzwischen es eine ‚moderne‘ grüne Tradition: berühmt gewordene Bauten, die bereits in den 90er Jahren mit Grün experimentierten, sind das Acros-Gebäude und ein Gebäude in Kyoto.
Vertikal Grün wird dort inzwischen auch bei Hochhäusern angewendet: so durch Ken Yeang und Woha. Wong Mun Summ, einer der beiden Gründer des Bureaus Woha, brachte es stolz auf den Nenner: “ natural air conditioning and no loss of land”.
Über Kenyang konnte man in der NewYorkTimes lesen: „The hanging gardens of Ken Yeang have brought a new aesthetic to the design of skyscrapers. More than that, they have brought a new ethos of sustainable design to the building type. His ‚bioclimatic‘ towers have an impact around the world, fusing high-tech and organic principles that have grown out of a response ot the harsh and humid climate of his native country – Malaysia.”
Man kann konstatieren: in allen Ecken der Welt wird experimentiert und ausprobiert – auf hightech-Niveau und genau so im Alltag des Bauens.
Lebendiges Grün in einer dichte städischen Umgebung hat viele positive Effekte – sowohl auf das Klima als auch auf die physische und ebenso auf die psychischeGesundheit der Stadtbevölkerung. Ich muss das wohl nicht mehr im Detail erläutern – viele Beiträge auf der site von BIOTOPE CITY JOURNAL gehen darüber. Nur einige Stichworte: 10% mehr Grün kann zu einer 3 Grad niedrigeren Temperatur in heissen Sommern führen – in warmen Gegenden ist dieser Effekt noch viel dramatischer, dort rechnet man mit Temperatursenkungen bis zu 10 Grad Celsius. Sodann hält Grünbewuchs bei Sturzregen einen Teil des Regenwassers zurück und entlastet die Kanalisation, und nicht zuletzt trägt Blattgrün in erheblichem Masse bei zur Konversion von CO2.
Eine grüne Haut für die Stadt
Was wir brauchen ist, ist quasi eine grüne Haut für die Stadt – die Stadt mit Grün überziehen überall da, wo es möglich ist und zu einer physikalischen und ästhetischen Bereicherung der Stadt beitragen kann. Das ist effizient, verbessert das Klima, ist kostengünstig, unterstützt die zivilgesellschaftliche Erfahrungen – denn das Grün muss ja auch gepflegt werden und das kann man nicht allein Gärtner überlassen – und es ist schliesslich obendrein noch schön.
Es gibt viele grüne Bausteine, mit denen man spielen, die man spielerisch einsetzen kann: Bäume, Gründächer, vertikales Grün an Fassaden und Brandwänden, Grün auf Balkonen und Fensternsimsen, Baumscheibengärtchen, Wildwuchs vonWildkraeutern (die früher Unkäuter genannt wurden) in allen Ritzen der Gehsteige, grün auf städtischen Restflächen, Fingerparks, Poketparks, und natuerlich die grossen staedtischen Parks, von denen doch manches Mal wieder neue in die Stadt implementiert werden können (wie zB der Glücksfall des Park Citroen in Paris). Und dazu gibt es eine ganz neue Erscheinung: das essbare Grün. Dieses essbare Grün ist eine wichtige neue Sache: überall in der Welt findet man derzeit Menschen, die sich mit Kräuter- und Gemüseanbau beschäftigen – nicht nur auf ihren Balkonen und Blumenkästen, sondern auch auf öffentlichen Flächen um ihre Wohnungen herum. Gemeinsames Gärtnern in der Stadt ist eine fantastische Initiative, um der Stärkung unserer Zivilgesellschaft einen neuen, tastbaren Inhalt zu geben, gerade auch in multikulturellen Gebieten. Gemeinsames Gärtnern überbrückt etnische, kulturelle und soziale Unterschiede auf unkomplizierte Weise: mit einem Mal erhält das mitgebrachte Wissen von Frauen aus entfernten ländlichen Gegenden seinen Wert in der Grossstadt und gemeinsamt experimentiert man mit einem gemeinsamen Ziel: das Wachstum von Essbarem mitten in der Stadt zustande zu bringen. Es gibt sehr schöne Beispiele dafür, selbst in Quartieren, denen der Stempel von Problemgebieten aufgedrückt worden ist.
Es gibt also zahlreiche Argumente fuer die Integration von Gruen in Architektur und Staedtebau. All das hat nichts zu tun mit einem Gegensatz zwischen traditionellen Formen von Bauen gegen hightech.Für beide Herangehensweisen, die ‚lowtech‘ wie die ‚hightech‘ Bauweise sollte das gemeinsame Ziel sein, zurückzukehren zu dem zyklischen Prinzip, das der Natur auf unserer Erde zugrunde liegt. Für beide Bauweisen sollten die gleich Prinzipien gelten, wobei beim traditionellen grünen Bauen und Begrünen lediglich noch einige andere Aspekte hinzukommen als die zusätzlichen Aspekte, die für hightech gelten.
Das Konzept der Stadt als Natur, der Stadt als Biotope, ist eine Herausforderung an das Bauen. Architektur und Baukonstruktion können auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlichen Massnahmen zur Minimalisierung von Umweltproblemen beitragen.
Aber gleichzeitig – und das ist das Aufregende an diesem Konzept – geht die ‚Stadt als Biotope‘ auch über Verantwortlichkeit und über Verhalten der Bewohner. Biotope City, die Stadt als Natur, ist auch ein Programm für die Zivilgesellschaft. Das Besondere ist, dass diese soziale Dimension nicht ein gutwilliges Begleitprogramm darstellt, das man auch weglassen könnte. Nein. Es ist die essentielle andere Seite.
Die Stadt begrünen ist nur realisierbar in Zusammenarbeit mit den Bewohnern. Jede Stadtverwaltung wird scheitern, wenn sie auf sich alleine gestellt bleibt. Glücklicherweise lieben es viele Stadtbewohner, ihre Balkone und Fenstersimse zu begrünen, tun das auch gerne auf ihren Dächern, wenn die Möglichkeit dazu besteht und selbst das ‚wilde‘ Begrünen öffentlicher Flächen, angefangen mit den Flächen um Bäume herum, erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit. Begrünen erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit. Grün sich inzwischen sogar geradezu in Modegekommen. Designer überbieten sich mit Kreationen, die auf Grün verweisen oder sogar lebendiges Blattgrün integrieren. Ein Tisch mit einem eingebauten Garten, sogar Schmuck mit lebendigen Pflanzen – die Phantasie macht verrückte Sprünge… Hoffen wir, dass diese Begeisterung überschwappt auf den Bausektor und beiträgt zu einem grünen Durchbruch !
Die ‚Stadt als Natur‘ ist eine Idee, die sich ausbreitet – und sie ist zu gleicher Zeit ein zivilgesellschaftliches Programm.
Angesichts der zahlreichen Argumente für die Integration von Grün in Architektur und städtische Planungen ist mein Vorschlag daher: Lebendiges Gruen zu einer der gebräuchlichen Baukomponenten ernennen und auf derselbe Ebene rangieren lassen wie Stein, Beton, Stahl und Glas.
Doch noch sind wir in der Paxis weit davon entfernt. Warum wird im Bauen so zoegernd darauf reagiert? Warum immer noch die Abwehr gegen ‚greening‘ unter Architekten, wie Rem Koolhaas sie ausdrueckt?
Warum das Zögern bei Bauindustrie, Investoren und Architekten ?
Warum verhalten sich Architekten, Investoren und die Bauwirtschaft so zurückhaltend?
Abgeshen von möglichen ideologischen Vorbehalten sehe ich eine Reihe von Motiven, die ich hier einmal aufzähle:
1. die Baukomponente ‚Grün‘ bewegt sich – auch nach Abschluss der Bauarbeiten – selbsttätig weiter, sie ist lebendig, dynamisch – anders als alle anderen Baukomponenten, die statisch sind und nur geringe, berechenbare Schwankunen unter Hitze, Kälte und Gebrauch aufweisen.
2. Grün existiert nie fuer sich alleine: flora und fauna hängen unauflöslich mit einander zusammen. Also kein Grün ohne Insekten und ohne Vögel.
3. Grün erfordert Wartung. Diese ist nicht extrem teuer, aber es muss regelmässig durchgeführt werden.
4. Die meisten Architekten und Stadtplaner haben nicht viel Kenntnisse von ‚Grün‘, also Bäumen, Pflanzen, Insekten, Vögeln u.a. und deren Anforderungen an ihre Lebensbedingungen. Solange dies noch so ist, sind sie auf die Zusammenarbeit mit Landschaftsplanern, Biologen und Ökologen angewiesen.
5. ein weiteres Problem ist der Umstand, das in der Regel nach Abschluss der Bauarbeiten, also wenn das Gebäude im üblichen Sinne ‚fertig‘ ist, der Planzenbewuchs nur erst in Ansätzen sichtbar ist. Man kann das anvisierte Endergebnis erst in einigen Jahren sehen. Pflanzen brauchen Zeit, um zu wachsen, was vor allem auch für Kletterpflanzen für einfache Fassadenbegrünung gilt.
6. Begrünung ist meist eine etwas teurere Lösung – dies gilt für die Anfangsinvestiton, jedoch wird dabei meist nicht die Dauer des Gebrauchs und die laufenden Unterhaltskosten mit in die Rechnung einbezogen: Gründächer z.B.haben etwa die doppelte Lebensdauer als unbegrünte.
7. Den Nutzen einer Begrünung hat nicht nur der Investor, sondern teilweise – wegen der Umwelt-Effekte – auch die gesamte Umgebung. Begrünung ist also z.T. auch eine ’soziale‘ Tat.
8. Vorbehalte gibt es auch gegenüber der dauerhaften Wasserdichtigkeit von Folien. Hier sind in den vergangenen Jahrzehnte erheblich technische Fortschritte gemacht, aber immer noch können genaue Angaben über Versprödung in der Zukunft nicht gemacht werden. Allerdings sind durch Vorschriften/Normierung für Herstellung und Verarbeitung Sicherheiten entwickelt worden.
Neben diesen Gründen gibt es aber noch einen, den ich noch gesondert nennen will: die andere Ästhetik. Wir sind seit dem breiten Durchbruch der Moderne, die vor einem Jahrhundert ihren Siegeszug begonnen hat, an eine glatte, ornamentfreie Aesthetik gewöhnt. ‚Ornament und Verbrechen‘ ist der Titel eines einflussreichen Essays des ‚modernen‘ Architekten Adolf Loos – und diese Haltung finden nun schon bei Generationen von Architekten. Architekten werden in ihren Ausbildungsstätten in dieser Ästhetik erzogen. Das ist so selbstverständlich, dass wir uns nicht vorstellen koennen, dass das Schönheitgefühl des 19.Jhds, das getragen war von einer breiten Begeisterung für Dekoration, von uns nicht nur als ein historisches Phänomen gesehen wird, sondern auch einen erneuten ästhetischen Ausgangspunkt bedeuten könnte für eine zeitgemässe ‚Dekoration‘. Und diese zeitgemässe ‚Dekoration‘ können wir in der Umhüllung von Architektur mit lebendigen Pflanzen finden.
Diese lebendige Umhüllung – aus ästhetischen und aus klimatischen Gründen – war übrigens über Jahrhunderte hinweg im Bauen üblich. Vertikales Grün ist von alters her eine Form der Verschönerung hässlicher oder langweiliger Wäde und – in Form von wintergrünem Efeu – ein Wetterschutz.
Was tun ?
Was ist zu sagen und zu sagen gegen diese Einwände? Antworten sollten wenn möglich projektnah gegeben werden. Aber wie können wir das Begrünen unserer Städte in der Breite stimulieren. Ich sehe vier Wege:
1
Kenntnissse über die positiven Effekte des Begrünens verbreiten – Immer noch gibt es hierüber ein grosses Wissensdefizit bei vielen Menschen, Professionals, Bürgern und Politikern.
2
Kenntnisse über das Know How des Begrünens verbreiten : Wie macht man es, was wächst wo etct. – und dann in breiter Palette, beginnend mit einfachen Pflanzen bis hin zu, bei Interesse und Bedarf, Kenntnisse über das, was alles möglich ist unter Verwendung technischer Systeme.
3.
Organisationen und politische Parteien anregen, um Begrünung zu stimulieren und insbesondere, um Dachbegrünung bei Neubauten in der Gemeinde bindend vorzuschreiben. Das sollte auch für Gewerbebauten gelten, die eine unverhältnismässig grösseren Flächenbedarf haben und daher stark zur Versiegelung der Landschaft beitragen.
4.
Bewohner und Initiativgruppen unterstützen mit Beratung in allen Formen.
Glücklicherweise interessieren sich inzwischen Unternehmen im Gartenbau und anderen Branchen, wie der Metallkonstruktion für das Thema, da sie entdeckt haben, dass hier ein Markt brach liegt und es eine Nachfrage für Grün gibt, das sich Gründächer umfasst, aber dass man darüber hinaus nun auch mit ‚vertikalen Gärten‘, sprich begrünten Fassaden, Geld verdienen kann. Vorreiter der vertikalen Gärten war der Biologe Patrick Blanc, der ein ziemlich teures Begrünungssystem entwickelt hat und seit Jahren weltweit spektakuläre Projekte damit realisiert. Inzwischen sind eine grosse Zahl von anderen Systemen für vertikale Begrünung auf dem Markt.
Nicole Pfoser von der Universität Darmstadt hat nach einer eingehenden Untersuchung eine systematische und äusserst nützliche Klassifizierung von möglichen Massnahmen für vertikale Begrünung erstellt, beginnend von der einfache Begrünung durch selbsthaftende Pflanzen (wie Efeu oder Wildem Wein) bis hin zu exklusiven Systemen, die der Fassade vorgesetzt werden und elektronisch gesteuert bewässert werden. Ich empfehle nachdrücklich, zu dem Artikel von Nicole Pfoser zu surfen, wo auch das Klassifizierungsschema samt Erläuterungen zu finden ist.
Alles in allem gibt es trotz der derzeitigen ökonomischen Probleme Anlasse zu Optimismus. Ein erster Schritt ist bereits genommen: Nachhaltigkeit ist ein weltweites Ziel geworden, festgelegt in Absprachen und Verordnungen und wird nun allmählich Standard. Und die Dinge entwickeln sich weiter.
Begrünung ist ein nächstes Ziel geworden. Begrünung bedeutet einen nächsten wichtiges Schritt im Überdenken des Verhältnisses von Technik und Natur unter Klimawandel und Umweltproblemen und den globalen Bedingungen von heraufziehenden Defiziten an natürlichen Resourcen, die wir ins Auge fassen müssen.