IT-gesteuerte Planung von Natur in der dichten Stadt

 

Bernhard Scharf

Die dichte Stadt als Natur. Geht das?

Wenn man sich Städte heute ansieht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich dabei um einen Widerspruch handelt. Denn Städte wurden – bewusst oder nicht – als Gegensatz zur Natur errichtet. Nach dem Motto: draußen die Natur, drinnen die Stadt. Dieses Paradigma hat zu zahlreichen Problemen geführt. Das von Helga Fassbinder entwickelte Konzept der Biotope City bietet einen vielversprechenden und zukunftsweisenden Lösungsansatz. 

 

Warum eine dichte Stadt als Natur?

Für dieses Ziel gibt es viele Gründe. Im Zentrum der Überlegungen steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach einem gesunden, sicheren und lebenswerten Umfeld. Durch Klimawandel und städtisches Wachstum ist zu befürchten, dass noch mehr an Lebensqualität verloren geht, wenn wir nicht beginnen, Städte für Menschen und Natur zu bauen. Denn die Wirkungen der Natur auf uns Menschen sind unverzichtbar. Blattgrün reguliert Hitze, Böden und Substrate speichern Regen und Naturräume bieten uns Erholung und Gestaltungsmöglichkeiten.

Was das Video der Nasa schön aufzeigt ist die Änderung der globalen Temperatur in den vergangenen Jahrzehnten. Diese bedrohliche Entwicklung lässt sich aber auch in klaren darstellen:

Die Stadt und der Regen.

Eine weitere Folge des Klimawandels sind immer häufigere und heftigere Niederschläge. Gemeinsam mit dem hohen Versiegelungsgrad der Städte von bis über 90% und ihrem steten Wachstum führt dies regelmäßig zu einer Überlastung des Kanalsystems und fluvialen Überschwemmungen.

Die Stadt und das Wachstum.

In ganz Europa wachsen die Städte. Leben derzeit etwa 70% der Bevölkerung in einer Stadt, so werden dies aktuellen Prognosen zu Folge bereits 2050 rund 80% sein. Damit einher geht intensive Bautätigkeit. Und diese Gebäude und Stadtteile werden ein Klima erleben, welches erheblich heißer und unwirtlicher ist als es vorstellbar erscheint. Daher sollten bzw. müssen alle die Neubau- und Bestandssanierungsprojekte so geplant und umgesetzt werden, dass sie zu keiner zusätzlichen Belastung oder Gefährdung der Lebensqualität, Sicherheit und Gesundheit führen. 

Die Stadt und die Umweltgerechtigkeit.

Schon heute zeigen Analysen, dass in Stadtteilen mit geringer Lebensqualität und hoher Hitzebelastung eher sozial und wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen leben. Der Klimawandel wird dazu führen, dass die von Hitzewellen und Tropennächten bereits betroffenen Areale noch weiter an Lebensqualität verlieren werden, wenn keine Maßnahmen getroffen werden. Umgekehrt leben in einkommensstärkere Bevölkerungsteile in klimatisch geschützteren Lagen. Daraus erwächst die Gefahr eines weiteren Auseinanderdriften der Gesellschaft bis hin zu Ghettoisierung. Das Konzept der Biotope City sieht daher gezielt vor, dass Maßnahmen zur Klimaregulierung im sozialen Wohnbau umgesetzt werden. 

Der beschriebene Aspekt der Korrelation des Einkommens mit dem klimatischen Bedingungen im Stadtquartier wurde für viele europäische Städte belegt. Das gezeigte Beispiel zeigt anhand der Analyse von Bebauung und thermischem Komfort, dass sogar in Fernsehserien dieses Prinzip umgesetzt wird. Denn in der Serie Game of Throns leben die Ärmsten dort wo es heiß ist und die Herrscher*innen auf den klimatisch begünstigten Hügeln.

Harry Glück, einer der wohl visionärsten und erfolgreichsten Architekten des sozialen Wohnbaus, bezeichnete die Notwendigkeit der Menschen Natur zu erleben und sich zu erholen als: den Appel der Natur. Und tatsächlich mangelt es an Naturerlebnis und Erholungsmöglichkeiten in der Stadt. Statt begrünter Fassaden und Dächer erleben Menschen lediglich Beton, Zement und Asphalt Oberflächen in ihrem „Lebensraum“ der Stadt. 

Eben dieser mangel an Natur treibt die Menschen an, dann wenn sie frei entscheiden können, was sie tun möchten, die Stadt zu verlassen. Dies führt zu den bekannten Wochenendstaus freitags hinaus und sonntags zurück in die Stadt. Interessanterweise gibt es zu dieser Stadtflucht keine Verpflichtung. Es gibt auch keine monetären Anreize. Im Gegenteil, der Wochenendausflug oder Kurzurlaub kostet Geld.  Die unbewusste Sehnsucht nach Natur und Erholung ist die einzig nachvollziehbare Erklärung. 

Was tun gegen Hitze und für lebenswerte Städte?

Die Problematik der sommerlichen Überhitzung der Städte ist in Fachkreisen bereits lange bekannt und hat zu verschiedenen Lösungsstrategien geführt, auch humoristischen Ansätzen. 

Aber,

die vielen Strategien zur Anpassung urban er Räume an den Klimawandel bleiben generisch. Entscheidungen in individuellen Planungsprozessen für Neubau, Altbausanierung, von einzelnen Gebäuden oder ganzen Stadtteilen können damit nicht gesteuert bleiben. Die Fragen nach der besten Strategie oder der richtigen Grünen Infrastruktur werden nicht beantwortet. 

Die urbane Hitzeinsel.

Der urbane Energiehaushalt ist höchst komplex und von zahlreichen Faktoren bestimmt bzw. beeinflusst. Klar ist, dass der sommerlichen Überwärmung entgegengewirkt werden muss, um die Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Der sogenannte Urban Heat Island Faktor, welcher der Temperaturdifferenz des Umlandes zum Stadtzentrum entspricht, muss reduziert werden. Dazu ist es notwendig, jedes Projekt nach diesem Gesichtspunkt zu optimieren.

Klimawandelanpassung ist planbar.

Um die Anpassung urbaner Räume, einzelne Gebäude bis hin zu ganzen Stadtteilen, planbar und damit umsetzbar zu machen, wurde die GREENPASS® Technologie entwickelt.

Lebenswerte Städte ermöglichen.

Mit diesem Ziel wurde unter Mitwirkung mehrerer Universitäten in Deutschland und Österreich, zahlreichen Unternehmen und mit der Unterstützung internationaler Städte wie London, Hongkong, Wien, Kairo und Santiago de Chile über 9 Jahre hinweg der GREENPASS entwickelt. Im Jahr 2018 gründeten die Entwickler Florian Kraus und Bernhard Scharf gemeinsam mit Mitstreiter*innen die gleichnamige Firma mit Hauptsitz in Wien. Seither unterstützt das Unternehmen Projekte in ganz Europa im Bestreben eine möglichst hohe Klimaresilienz zu erreichen, indem es die Effekte der urbanen Strukturen und Materialien sowie natürlich grüner und blauer Infrastruktur berechnet und damit vergleichbar und optimierter macht. Dazu zählt auch die Biotope City in Wien, welche eines der ersten Projekte darstellte und auch hier eine Vorreiterrolle einnimmt.

Toolbox, Indikatoren und Zertifzierung.

Zur Bewertung der Qualitäten und Optimierungspotenziale von Projekten wurde eine Toolbox entwickelt. Die Toolbox besteht aus drei maßgeschneiderten Services für den Vorentwurf, Entwurf und die Detailplanung. Je nach Planungsphase und -fortschritt werden bis zu 28 Indikatoren betrachtet. Diese Indikatoren beziehen sich auf 6 urbane Zukunftsherausforderungen, wie Klima, Wasserhaushalt, Luft, Biodiversität, Energie und Kosten. 

 

Faktenbasierte Entscheidungen.

Mit Hilfe der Indikatoren und des Bewertungssystems werden faktenbasierte Planungsentscheidungen und die Optimierung jedes Projekts ermöglicht. Die standardisierten Auswertungen und Darstellungen schaffen dazu eine leicht verständliche Grundlage.

Die Biotope City.

Die erste Biotope City der Welt entsteht derzeit an der Triesterstraße in Wien. Sie ist in vielerlei Hinsicht Vorreiterin und zukunftsweisend. So wurde im Zuge der Projektentwicklung auch die beschriebene GREENPASS® Technologie eingesetzt, um die Wirkungen der grünen Infrastrukturen zu optimieren. 

Thermischer Komfort.

Lufttemperatur.

Windfeld.

Ökonomische Effizienz.

In der Detailplanung und Zertifizierung wird selbstverständlich auch auf die bestmögliche Verwendung des Budgets für Grüne Infrastrukturen  geachtet. Dadurch konnten bei lediglich 66% der Kosten im Vergleich zum moderaten Begrünungsszenario 96% der Klimaresilienz erreicht werden.

GOLD für die Biotope City.

Die Biotope City erreichte basierend auf dem GREENPASS® Zertifizierungssystem ausgezeichnete 87% Gesamterfüllungsgrad und damit das offizielle Zertifikat in Gold.

Impressionen von der Baustelle.

Derzeit wächst die Biotope City rasch. Die ersten Bewohner*innen werden bald einziehen. Sie werden von einer permanenten Quartiersbetreuung empfangen, die Ihnen die Besonderheiten und Qualitäten der Biotope City erläutern und auch sonst mit Rat und Tat zur Seite steht.

Bewertung Siegesentwurf.

Analyse.

Ergebnis Optimierung.

Design principles.

Aus den Maßnahmen zur Optimierung des städtebaulichen Entwurfs wurden von den Player*innen und der 3420 Aspern development AG sogenannte design principles erstellt. Diese gelten in Folge für die weitere Entwicklung der einzelnen Bauplätze der Seeterrassen.