Charles Eisenstein im Interview mit seinem Herausgeber
über sein Buch ‚Klima – eine neue Perspektive“, mit einem Vorwort von Prof. Dr. Wolfgang Sachs (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie), Europa Verlag Berlin | Wien | Zürich
Warum haben Sie ein Buch über Klimawandel geschrieben?
Ich war mein ganzes Leben Umweltschützer und sehe, wie das Thema Klimawandel momentan die Umweltbewegung dominiert. Erst schien er ihr einen großen Auftrieb zu verleihen. Wir dachten, jetzt werden sie die Dinge tun müssen, die wir schon immer gefordert haben. Aber unterm Strich geht die Sache, fürchte ich, nach hinten los. Das Thema Klima gräbt anderen Umweltthemen das Wasser ab, und pikanterweise stellt sich heraus, dass diese viel wichtiger sind als ursprünglich angenommen, selbst aus der Klima-Perspektive.
Gab es einen speziellen Anlass für Sie, dieses Buch jetzt zu schreiben?
Ja, vor ein paar Jahren habe ich an einer Klimakonferenz in Paris teilgenommen. Als ich sah, mit welcher Rhetorik und welchen Strategien das Thema angegangen wurde, schrillten bei mir die Alarmglocken, und ich dachte mir, so wird das nach hinten losgehen.
Wer sollte das Buch lesen und warum?
Hauptsächlich ist dieses Buch für Umweltbewegte geschrieben, für Menschen, die die Erde lieben und die sich nach einer anderen Beziehung zwischen Mensch und Natur sehnen – oder besser zwischen Zivilisation und Natur. Es zeigt auf, wie der Klimawandel ein Symptom unserer gesamten Gesellschaft ist und nicht auf beispielsweise Treibhausgase reduziert werden kann. Daher trägt jede Form von Heilung auf jeder Ebene – im eigenen Inneren, in Beziehungen, in der Gesellschaft oder in Ökosystemen – zur Heilung des ganzen Planeten einschließlich des Klimas bei.
Welches Problem hat der Klima-Aktivismus momentan?
Ich kann hier nicht ein einzelnes Problem herausgreifen. Vielmehr werden bestimmte Grundannahmen und eine gewisse Weltanschauung unhinterfragt übernommen, die aber Teil des Problems sind. Zum Beispiel ist das Hauptargument für die Reduktion von Treibhausgasen, dass schlimme Dinge passieren, wenn wir es nicht tun – wirtschaftliche Verluste, überflutete Städte, Flüchtlingsströme, Ernteausfälle und so weiter. Aber diese Argumente beruhen auf der Annahme, dass der Wert der Natur in ihrem Wert für uns liegt. Was ist jedoch mit dem ihr innewohnenden Wert, den sie als lebendiges, als heiliges Wesen hat? In den 1970ern, als der Umwelt-Slogan »Rettet die Wale« war, hieß es noch nicht: Rettet die Wale, sonst droht uns Schlimmes. Es hieß: Rettet sie, weil sie so etwas Besonderes sind. Aber das ist nur ein Beispiel.
Was meinen Sie mit »CO2-Reduktionismus«?
Es ist eine Art von Fundamentalismus, den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel für jedes Umweltproblem verantwortlich zu machen. Damit werden vielfältige Ursachen auf eine einzige reduziert, und es wird suggeriert, wir müssten nur zu anderen Treibstoffen wechseln oder Maschinen bauen, die das CO2 aus der Luft filtern, oder die Erde mit Windrädern, Solarpaneelen und Plantagen für Biotreibstoffe zupflastern, dann könnten wir unsere Zivilisation beibehalten und weiterhin die Natur ruinieren. Wenn wir dagegen den gesamten Planeten als lebendig sehen, werden wir mit den Aktivitäten aufhören, die CO2 freisetzen, sogar wenn wir CO2 nicht für ein Problem halten.
Gibt es noch Hoffnung für unseren Planeten?
Ja. Wenn wir als Gesellschaft unsere Aufmerksamkeit, Energie und Kreativität auf die Heilung konzentrieren, wenn wir uns wieder der Gemeinschaft allen Lebens auf Erden anschließen und fragen, wie wir der Gesundheit und Entwicklung des Ganzen dienen können, dann werden wir Wunder der Genesung erleben. Schauen Sie, was in der regenerativen Landwirtschaft möglich ist! Aber das kann nur passieren, wenn wir mit der Erde und all ihren Orten umgehen, als wären sie geliebte, teure Wesen und nicht ein Haufen Chemikalien oder Zellen oder Ressourcen, die nur zu unserem Nutzen existieren.
Was können wir tun, als Gesamtheit, aber auch jeder Einzelne?
Wir können darauf horchen, was nach unserer Zuwendung ruft. Da die Ursache für die planetare Krise nicht das eine Ding (CO2) ist, sondern alles zusammen, ist jede heilsame Tat von Bedeutung. Vom Kopf her kann man vielleicht schwer erklären, wie der Schutz von Meeresschildkröten oder Hilfe für obdachlose Menschen oder Flüchtlinge oder die Wiederbelebung aussterbender Sprachen dem Klima helfen. Aber das Herz erkennt, was wichtig ist. Und je mehr wir das Ausmaß der Krise wahrnehmen, desto eher werden wir erkennen, dass die Dinge, die irrelevant schienen, in Wirklichkeit sehr wichtig sind.
Hat das Buch Ihr eigenes Leben verändert?
Es hat mich mit meiner Angst konfrontiert, von Menschen, die ich als Freunde und Verbündete sehe, abgelehnt zu werden. Die Diskussion über den Klimawandel und viele andere Probleme hat sich zunehmend polarisiert. Wenn sich jemand mit einer ungewöhnlichen Sichtweise zu Wort meldet, fragen die Leute gleich, auf welcher Seite er steht. Was ich sage, lässt sich jedoch auf dem Meinungsspektrum zum Klimawandel nicht einordnen. Kein Lager – weder die Alarmisten noch die Skeptiker – sieht mich als einen von ihnen. In diesem Zusammenhang hat mir dieses Buch auch gezeigt, dass unser größtes Problem heute eigentlich diese Polarisierung im Denken ist, diese Kriegsmentalität. Solange die Menschheit so gespalten bleibt, werden wir nie die Einigkeit erreichen, die notwendig ist, um wirklich eine andere Beziehung zur Erde aufzubauen. Immer mehr denke ich, der erste Schritt ist Frieden.