EIN PIONIER: INTERVIEW mit OT HOFFMANN, Architekt des Baumhauses in Darmstadt
Dirk Junklewitz
BCJ: Sie arbeiten seit Jahrzehnten mit der Verbindung von Grün und Natur mit der Stadt und Architektur im Allgemeinen. Was ist dabei ihr Ansatz und seit wann haben Sie diesen verfolgt?
Ot Hoffmann: Der Ansatz ist Versöhnung der Technik mit der Natur, um es mal geschwollen auszudrücken…..
Als ich hier mit dem Bau des Baumhauses ungefähr 1970 fertig wurde, gab es einen öffentlichen Protest. Von Spinner angefangen bis hin zu persönlichen Verunglimpfungen, auch in der Presse. Und dann – es war ganz erstaunlich – kam ein völliger Umschwung, als das Haus immer mehr zuwuchs, und in der Zwischenzeit ist es ja dann selbst in das Sightseeing-Programm aufgenommen worden.
Mein erstes Projekt war vielleicht der Auslöser, mich damit zu befassen. Ich hatte irgendwann in den sechziger Jahren mein erstes Haus, das damals in der Bauwelt veröffentlicht wurde, mit flachem Dach gebaut und begrünt. Zu der Zeit war von Dachbegrünung gar nichts bekannt. Ich war ein bisschen selbstkritisch und hab das Grün nicht auf die Dachdichtung gebracht, das war ein sogenanntes Kaltdach, also ein durchlüftetes Flachdach mit Bitumendeckung und Kiesschüttung drauf – sondern hab große Pflanztröge bauen lassen und ungefähr 15cm aufgestelzt, so dass sie keinen Kontakt mit der Kiesschüttung hatten, und hab diese bepflanzt. Ein sehr schönes Dach.
Nach ungefähr 10 Jahren wurde das Dach undicht. Daraufhin begann ich das Dach abzuräumen und fand, dass an der äußersten Stelle eine Wurzel von einer Latschenkiefer durch das Entwässerungsloch des Troges durch die Luft in den Kies und das Bitumen ins Dach gewachsen war. Kleine Ursache, große Wirkung. Das hat ordentlich gekostet. Da wusste ich, dass es so nicht geht. Doch da gab es für mich noch so einen Widerspruch, denn in Berlin gab’s ja in den 30er Jahren viele Flachdächer die auf solcher Basis gemacht waren. Mit viel Nachstochern hab ich dann herausgefunden, dass diese Dächer auf Teerbasis abgedichtet worden waren. Doch heute ist ja Teer als Dachabdichtung aus gesundheitlichen Gründen verboten, und man muss Bitumen bzw. Kunststofffolien nehmen. Bitumen aber ist ein wunderbarer Nährstoff – in ein, zwei Jahren sind da die Löwenzahnwurzeln durch. Und Teer hat praktisch eine aseptische Wirkung – das heißt die Wurzeln werden abgetötet wenn sie in Kontakt damit kommen. Deswegen gibt’s in Berlin diese Flachdächer, auf denen Pioniergehölze und viele andere Pflanzen wachsen, was mit einer normalen Bitumenabdichtung allein nicht möglich wäre.
Hier im Baumhaus hatte ich als Experiment ein wasserundurchlässiges Betondach ohne weitere Abdichtungen gemacht, und darauf den entsprechenden Aufbau: Wärmedämmung, Filterschicht, Vlies, Erdschüttung. Experiment deshalb, weil es keine anerkannte Regel der Technik war. Wenn Sie als Architekt etwas machen, was nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, sind Sie haftbar. Aber hier war’s ja mein eigenes Geld, also hab ich’s ausprobiert. Später habe ich es auch auf eigenes Risiko bei anderen Bauten gemacht. Noch später ist es dann anerkannte Regel der Technik geworden. Also beim StadtWaldHaus [Foto] hab ich mich schon regelkonform verhalten. Das hat auch ein WU-Dach. Also ich würde heute nun auch aus Kostengründen ein wasserundurchlässigen Betondach machen. Mit den entsprechenden Vorkehrungen, die man braucht, und nicht irgendeine Firma nehmen, die einem ein teures Mittel verkauft, sondern mit einfachem, billigen Abbindeverzögerer – das ist das ganze Rezept. Der Beton muss langsam abbinden damit es keine Schwindrisse gibt, und der Vorteil ist ja, dass Sie die Wanne, wenn sie fertig ist, fluten können und so sehen können, ob sie dicht ist. Und wenn sie dann dicht ist, bleibt sie wirklich dicht.
Es sei denn, eine Wurzel kommt durch – durch den Beton.
Und da sind wir beim anderen Wunder der Natur: bei der Bepflanzung habe ich Kiefern genommen, weil ich auf einer Reise in Skandinavien sah, das die mit einer relativ dünnen Vegetationsschicht auskommen. Auf den Schären aus Granit sind oft nur 10cm Humusschicht, daher haben die Kiefern ein weites Wurzelgeflecht. Und da sah ich einige, die vom Sturm umgeworfen worden waren, so dass man die Wurzelteller und den rohen Granitboden darunter sah. Und da konnte man sehen, wie sich die Struktur des Wurzelgeflechts als Rillen im Granitboden abgebildet hatte.
Ich vermute, die haben das Gestein irgendwie aufgelöst.
BCJ: Ja, soweit ich weiß, scheiden Wurzeln Säuren aus, um im Gestein gebundene Nährstoffe zu lösen.
Ot Hoffmann: Ja, also komm ich da auf den Gedanken, dass irgendwann auch die Wurzeln durch den Beton wachsen. Dann haben irgendwann meine Erben eben ein Problem.
BCJ: Und… was schließen Sie dann daraus für begrünte Architektur?
Ot Hoffmann: Naja – das war eher ein Scherz. Das Haus steht jetzt schon 30 Jahre – ich glaube nicht, dass die Wurzeln durch Beton wachsen.
Aber es ist natürlich hochinteressant, sich mit dieser Verbindung zwischen Architektur und Vegetation zu unterhalten, auch weil man ja sieht, dass die Natur immer der Sieger ist. Wenn man sie lässt, übernimmt sie die Architektur einfach als eine Art Baugrund, als Wachstumsgrund. Selbst wenn Sie nichts machen – mit Flechten und Moosen und allem möglichen wird das schnell überzogen. Gerade auch bei Beton, der vergrünt ja sehr schnell. Wobei man ja nicht weiß, was das bewirkt.
BCJ: Hat sich Ihr Ansatz, die Versöhnung von Natur und Technik, im Laufe der Jahrzehnte verändert? Sehen Sie heute Aspekte der Zielsetzung und der Ausführung anders?
Ot Hoffmann: Naja, zuerst hab ich einmal erfahren ,dass bei diesem Gegeneinander von Natur und Technik oft die Natur siegt. Und dann ist etwas passiert was ich mir gar nicht erträumt hätte. Ich dachte, ich mach das mit dem Grün hier, weil ich davon Vorteile in der Nutzung habe und so. Und nach ungefähr drei, vier Jahren habe ich gesehen, dass mein Dachgarten hier ringsum Nachwuchs bekommen hat. Und das fand ich eigentlich das Allerschönste. Dass die Leute sahen, dass sie ihre Dächer nutzen konnten – sie haben das vielleicht simpel gemacht, mit Kübeln oder so – aber sie haben sie endlich mal genutzt.
Und das find ich eigentlich gut – man hat ja als Architekt auch so eine Vorreiterfunktion – nicht nur bei so etwas, aber als das hier immer mehr zuwuchs und die Leute mich dann in den Medien sahen – das Fernsehen hatte berichtet und im Stern und überall kam was – da gab es doch einen Impuls, dass man sich da mal mit beschäftigt – auch bei Kollegen. Da wurde aus dem Spinner plötzlich der Pionier – so wie eine Birke. (lacht)
Natur hatte für mich von Kindheit an eine andere Bedeutung als üblich – ich bin zwar in der Stadt groß geworden in Münster in Westfalen, aber in der frühesten Kindheit war ich auf dem Land. Man kann das als Romantik oder Naturverbundenheit bezeichnen – egal. Jedenfalls habe ich lange Zeiten – auch bis zu 8 Wochen – in der reinen Natur gelebt und mich auch durchgeschlagen: auf einer ehemaligen Alm in den österreichischen Bergen, 1260m hoch. 35 Jahre lang hab ich das immer wieder gemacht. Mit primitivsten Mitteln – kein Strom, kein fließend Wasser – Wasser von der Quelle holen, Nahrungsmittel aus der Natur entnehmen. Und da ist mir bewusst geworden, das ich weder ohne Natur in der Stadt leben kann, noch kann ich dort in dieser wunderschönen Natur immer leben. Ich brauch die Menschen, ich brauch die Kultur und alles Mögliche. Aber mir war wichtig, in diesem Gegensatz sagen zu können ich setz mich ins Auto und fahre vier Stunden dorthin und lebe da ein paar Wochen, oder schreib ein Buch oder so etwas. Und weil diese Verbindung zur Natur für mich so wichtig war, ist die Idee mit dem bewachsenen Dach entstanden, als ich mir sagte, ich muss jetzt für das Alter gewisse Vorkehrungen treffen, weil ich mich dann nicht mehr ins Auto setzen und sechs oder acht Stunden fahren kann oder möchte. Ich hab mir sozusagen meine Hütte hierher geholt – daher hat hier alles auch ein bisschen „Hüttencharakter“- dieses Improvisierte und das Wachsenlassen der Natur – das meiste was jetzt hier wächst , ist gar nicht mehr gepflanzt worden, sondern von selbst gekommen. Ich habe dann auch beobachtet und kartiert, was an Bewuchs dazu kam und warum es kam und so. Das ist die Verbindung zwischen Technik und Natur. Oder – Urbanität und Landleben.
Also das ist der Wandel, das ich mir sozusagen die Natur ins Haus geholt hab, oder besser auf’s Haus. Wobei oft auch von Laien die Kritik kam: “Ja, Sie wohnen zwar im Grünen, aber die Aussicht ist ja durch das Grün verdorben, und es kommt ja gar nicht genug Sonne rein.” Es ist ganz erstaunlich wie die Menschen auf so was reagieren – also… ich fühl mich in dieser Hecke wohl. Aber… das geht nicht allen so – und das sollten wir immer beachten.
Ot Hoffmann: Also ich sehe keine bedeutenden Ansätze. Es gibt mal hier und da etwas, aber Sie sehen ja schon, wenn Sie Architekturzeitschriften durchblättern, dass der Weg heute woanders hingeht. Seltsamerweise, denn es hat ja einen ganz direkten Nutzen für die Leute, das sie ihr Grün auf dem Dach haben, oder auf einer Terrasse oder so. Aber das Formale steht gerade heute bei Kollegen im Vordergrund. Bestenfalls wird Grün noch zur Verhübschung von Fußgängerstraßen und so etwas genommen.
BCJ: Aber es ist ja schon so, dass sich die Städteplaner auch im Zusammenhang mit den schrumpfenden Städten Gedanken und Pläne machen, die Städte wieder aufzuwerten.
Ot Hoffmann: Sie sprechen jetzt vom Wohnumfeld, nicht vom Gebäude selbst. Da hat sich eine Menge getan. Auch eben durch Stadtplanung und durch Vorgaben und Möglichkeiten, dadurch zB, dass man den Leuten 15cm am Bürgersteig gibt für eine Fassadenbegrünung. Wenn Sie durch die Altbauviertel gehen, die haben sich sehr geändert. Und da ich ja nun mal hier seit dem Studium hängen geblieben bin, kann ich das auch sehr gut beurteilen. Also vom äußeren Eindruck, vom Wohnumfeld, hat sich sehr viel verändert – aber am eigentlichen Haus desto weniger. Die Leute, die drin wohnen, haben nichts davon. Draußen ist es ja auch wichtig – ich will das Wohnumfeld nicht etwa herabmindern – im Gegenteil. Es trägt alles zum Wohlbefinden bei. Aber da ist eine seltsame Diskrepanz. Es ist vielleicht so, dass man auch am Haus nichts haben will – man empfindet das Grün oft als störend, wenn dort Efeu oder wilder Wein hoch wächst. Der könnte dem Haus schaden, oder die Schönheit der Fassade verdecken. Da ist also die Architektur immer noch der feindliche Gegenpart zur Natur. Und deshalb hab ich also mit dem etwas schwammigen Begriff der Versöhnung hantiert, um das deutlich zu zeigen, das ich diesen Gegensatz nicht akzeptiere – auch wenn mir mal ein Efeu durch die Silikonfuge wächst.
BCJ: In ihrem Text „Partizipation der Natur beim Bauen“ sprechen Sie die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur an und sein Bestreben, diese weitgehend zu kontrollieren. Doch wie wir auch heute noch immer wieder sehen müssen, kann der Mensch diese letzte Sicherheit vor der Natur nicht gewährleisten. Dabei führt gerade dieses falsche Verständnis in dem sich der Mensch gegen oder über die Natur zu stellen versucht, meist zu den fatalen Folgen. Otto Friedrich Bollnow schreibt dazu in „Die Stadt, das Grün und der Mensch“: „Das Wohnen in einem Haus bleibt letztlich ungesichert und der Mensch gewinnt eine echte Geborgenheit nur, wenn er sein Haus eingefügt weiß in das Grüne, d.h. die lebende und auch sein Leben tragende Natur.“
Denken Sie, das eine verstärkte Einbindung von Natur bzw. Vegetation in die Architektur zu einem Umdenken in diese Richtung beitragen würde, oder meinen Sie, das dies von dem Menschen nur wieder als eine Bestätigung seiner scheinbaren Kontrolle über die Natur verstanden wird?
Ot Hoffmann: Zunächst: dieser theoretische Ansatz ist von Menschen gemacht wie wir – nicht für Menschen gemacht, die anders denken, die so denken wie wir es eben sagten: Meine schöne weiße Fassade, die muss in Erscheinung treten. Aber der Ansatz dabei ist ja: Wird, wenn man in vermehrten Maße Natur an das Haus bindet, der Standpunkt der Menschen, über die Natur zu herrschen, verändert, oder nicht? Und da ist eben ein Problem der technische Aufwand, der nötig ist um die Natur ins Haus zu holen. Da ist ja sozusagen prognostiziert, dass der Mensch sich über die Natur erheben muss, um überhaut der Natur nahe zu sein. Er muss einen Topf für die Natur machen, einen Kübel. Natur in Kübeln ist ja sozusagen ein Synonym dafür, wie der Mensch über die Natur herrschen will.
BCJ: Wie beim Bonsai.
Ot Hoffmann: Ja, Bonsai als Extrem. Die Wurzeln dürfen nicht rauswachsen – ich darf ihn da hinstellen wo ich will.
(Unterbrechung, jemand kommt um die Automatik des Bewässerungssystems zu überprüfen).
Jetzt haben Sie – zu unserem Thema passend – ein lebendiges Beispiel für Technik und Natur. Dies war im wesentlichen so abgestimmt, dass die normale Regenmenge genügt zur Bewässerung. Hier ist bis vor drei Jahren kein Bewässerungssystem gewesen. Aber überall sind Rückhaltebecken, die ich Ihnen zeigen werde. Das Regenwasser, was dann überläuft, wurde gesammelt, läuft ins nächste und so weiter. Seit sechs oder sieben Jahren hat sich das Klima so rapide verändert, das die Wassermenge überhaupt nicht mehr ausreichte.
Ja, es ist viel trockener geworden. Wenn es mal regnet, regnet es ganz stark – und beim normalen Dach läuft alles weg, hier wird’s wenigstens noch aufgefangen. Aber die Menge selbst ist zu gering und zu einer Zeit, wo ich sie nicht brauche. Wir haben ja trockene Sommer gekriegt, das ist ja fast ein Steppenklima hier – gerade im Kleinklimabereich ist das ja wichtig. Zumal der Wind auch noch über die Dachflächen steigt und viel Feuchtigkeit abtransportiert. Ja, und da musste ich dann eben diese Zusatz-Automatik anbringen. Da hängen Sie plötzlich mit der Natur, die so hübsch ist, wieder an der Technik dran. Und da haben wir eine Verbindung Natur – Technik, die andersrum geht – nicht sehr angenehm zu wissen, dass, wenn man mal weggeht, die Automatik nicht funktioniert.
BCJ: Mitte der 80er Jahre bezeichneten Sie In der Einleitung zu Ihrem „Handbuch für begrünte und genutzte Dächer“ die „Funktionslosigkeit“ der Begrünung als „eine Chance, als bessere Alternative zur aftermodernen Rückgriffarchitektur wieder Gefühlsmomente in die Architektur einzubringen.“ In der Architektur wurde ja im Grunde schon immer versucht, bestimmte Eindrücke und Gefühle auf unterschiedliche Art und Weise zu vermitteln, doch abgesehen von der Garten- und Landschaftsarchitektur spielten Pflanzen dabei häufig nur eine untergeordnete Rolle.
Ot Hoffmann: Nun, wenn Sie sich mal diese Aufnahmen schon von Innenausstattungen aus der Gründerzeit ansehen, die so überladen waren, sehen Sie, dass es im 19. Jhr. eine ganz große Periode gab, in der man sehr viele Pflanzen hatte. Da kamen die Palmen in das Haus rein. Gucken sie mal auf alte Fotos und auf alte Postkarten von Inneneinrichtungen. Parallel dazu wurden ja die Gewächshäuser wieder kultiviert – da kam auch so ein Schwung, aber das ist dann verkümmert. Nun hatte man damals Räume die so groß waren, dass man wirklich Palmen hinstellen konnte, um sich diesen exotischen Stil zu schaffen… also als kleines exotisches Tüpfelchen auf der restlichen Biederkeit. In den großen Räumen der Gründerzeit ging das. Das war also schon mal da.
Und heute ist es eben der Wintergarten, den die Leute sich als zusätzliches Zimmer, aber auch als Grünraum und Überwinterungsraum für mediterrane Pflanzen ans Haus bauen. Also da ist schon etwas passiert.
Aber ob das so hochgegriffen werden kann, wie ich es da im Vorwort gesagt habe, da hab ich jetzt meine Zweifel. Dass die Leute sich wirklich soweit versteigen – von ihren Vorstellungen wegkommen – das sie diese Gefühlswerte, die die Pflanze als Partner bringt, sozusagen wie ein Haustier mit in ihre Wohnung aufnehmen.
BCJ: Wie eine Topfpflanze.
Ot Hoffmann: Gegen Topfpflanzen ist nichts einzuwenden – es gibt ja in der Wohnung kaum eine andere Möglichkeit.
BCJ: Topfpflanzen werden teilweise ja wirklich auch als Partner verstanden. Da fungieren z.B. Farne als Ansprechpartner für Alleinstehende und so.
Ot Hoffmann: Es fungiert alles als Ansprechpartner, was Sie entsprechend mit Ihren Emotionen aufladen. Alle Dinge sind Ihre Partner.
BCJ: Eigentlich wollte ich mit dieser These darauf hinaus, ob man nicht den Architekten, wie er sich in der Geschichte oftmals dargestellt hat und häufig immer noch darstellt, als „konstruktiven Bildhauer“ bezeichnen kann, der, mal sehr pragmatisch und funktional – mal sehr expressiv und aufwändig, „seine“ Gebäude als klar definierte Strukturen betrachtet, die oft wenig oder keinen Raum für den ausufernden „Wildwuchs“ von Pflanzen oder „Adaptionen“ späterer Nutzer bieten.
Ja, das ist ja die Kritik, die wir schon angesprochen haben, aber die Kritik muss noch weitergehen: Dieser Architekt muss abgeschafft werden. Der ist in unserer Zeit unhaltbar.
Die neue Aufgabe des Architekten müsste sein, dem Nutzer Raum zu schaffen, der ihm die Möglichkeit zur Gestaltung bietet – abseits von Tapeten, Vorhängen und so einem Krimskrams, den er eigentlich gar nicht braucht. Das ist die zukünftige Aufgabe des Architekten.
Wenn ein Architekt eine Terrasse wie diese von vornherein mit dem Pflanztrog davor planen würde, dann hat er soviel Vorgaben gemacht, das die Leute gar nicht anders können als etwas dort hinzupflanzen. Egal was sie dahin pflanzen – ob sie da ihre Thuja oder Buchs oder weiß ich was hinpflanzen, ist ganz egal – aber es ist ein Einstieg.
BCJ: Dazu fällt mir ein Satz von Louis Kahn ein, der geschrieben hatte: „Meiner Meinung nach hängt die Größe eines Architekten mehr von seinen Fähigkeiten ab, das zu verwirklichen, was Haus ist, als von seinem Entwurf eines Hauses, was ein von den Umständen bedingter Vorgang ist. Ein Heim ist das Haus mit seinen Bewohnern. Ein Heim wandelt sich mit jedem Bewohner.“ (Louis Kahn „Form und Entwurf“ in Vincent Scully jr.: „Louis I. Kahn“, Ravensburg 1963)
Darum geht es doch.
Ot Hoffmann: OH: Es geht noch weiter. Der Mensch hat ja Grundbedürfnisse – ich gliedere die in primäre – Nahrung, Kleidung, Wohnung – sekundäre und tertiäre. Und zu den tertiären gehört die Gestaltung, der Gestaltungsdrang. Jeder Mensch will irgendwie gestalten: mit seiner Kleidung oder auch heute oft mit der Wohnung – für unsere Augen oft in abenteuerlicher Weise – aber er will gestalten. Es ist eine Notwendigkeit. Und unsere Aufgabe ist es, ihm Möglichkeiten zu verschaffen, dieser Gestaltung nachzukommen und die Gestaltung mit Grün ist eine dieser Möglichkeiten. Und eine der letzten. Denn unser Bauen ist überall weitgehend reglementiert. Aber was Sie auf dem Dach machen, das ist frei, das Dach ist ein Freiraum. Das muss man sich mal überlegen – in unserer Welt wo alles vorgeschrieben wird, ob Dachneigung, Dachdeckung – alles Mögliche – da gibt es einen Bereich, der völlig frei ist. Absolute Freiheit. Das ist einmal der Garten, das Dach – ja und auch die Fassadenbegrünung.
BCJ: Wobei manche Architekten sich in Wohnsiedlungen mitunter vorbehalten, prägend in die Gartengestaltung einzugreifen. Also indem sie vorschreiben welchen Zaun man sich dort hinstellt, oder welche Markise man anbringt.
Ot Hoffmann: Ja, nicht nur Architekten: in der Ortsbausatzung oder in den textlichen Festlegungen zum Bebauungsplan ist das oft enthalten. Da können die Architekten gar nicht anders.
Ich hätte te zu gerne mal mit dem Ungers gesprochen, was der sich dachte, wenn er seine Kästen da hinsetzte mit den Löchern. Ob der an den Menschen dachte, der da drin ist, oder ob ihm das völlig gleichgültig ist.
BCJ: Meiner Meinung nach verfolgte Ungers in seinen Projekten auch einen sehr skulptural betonten Entwurfsansatz, der ja bei vielen öffentlichen Gebäuden auch gefragt ist – man sehe sich nur mal die vielen Solitäre an, die in den Städten so gebaut wurden und werden. Das kann mitunter zu Abstrichen bei anderen Qualitäten führen.
Wenn man Grün nun als Alternative oder nötige Ergänzung zu den sonst üblichen, eher skulpturalen Gestaltungsmitteln (also Form, Proportion, Farbe, Materialität) betrachtet, um der Architektur diesen besonderen, sagen wir mal „emotionalen“ und die Sinne ansprechenden Ausdruck zu verleihen – wie betrachten Sie dann den qualitativen Unterschied zwischen der „emotionalen“ Architektur z.B. eines Libeskind und der „emotionalen“, grünen Architektur z.B. des Baumhauses?
Ot Hoffmann: Ich denke, das dürfen wir nicht in einen Topf werfen – da muss man schon unterscheiden zwischen Wohnarchitektur und öffentlichen Bauten. Ich hielt es für ziemlich absurd, wenn man einen Gemeinschaftsbau oder ein Theater begrünt. Das kann man machen – ich bin nicht dagegen – aber… was bringt das eigentlich? Für wen?
Vielleicht ist es sogar so, das wir diesen Kontrast verstärken müssen zwischen der bewohnten Architektur und der von der Öffentlichkeit genutzten Architektur. So wie der Kontrast ja früher im Mittelalter zwischen der Kathedrale, diesem gigantischen Bauwerk, und den Lehmhütten ringsum bestand. Ein solcher Kontrast wäre für mich denkbar zwischen bewohnter Architektur mit Grün und einer überwiegend nicht begrünten öffentlichen Architektur. Man kann nicht überall Grün haben.
Ein gutes Beispiel ist die Fußgängerstraße in Darmstadt. Sehen Sie, wir hatten 1970 bei dem ersten Entwurf versucht den Charakter dieser Straße in der Stadt herauszuarbeiten. Stichwort: Steinerne Stadtstraße – die Einbauten da drin waren kubisch, streng. Die Brunnen waren aus Betonelementen aufeinandergetürmt, da plätscherte das Wasser runter und so. Das war ein sehr hartes Bild – trotz des weichen Wassers. Dann hat man sie umgestaltet zur heutigen Form; man hat da Bänke hingesetzt und Bäume reingepflanzt – Begrünung als Verhübschung. Die Bäume sind da absolut nicht lebensfähig, alle paar Jahre müssen sie ersetzt werden, oder sie werden solche Peitschen, weil sie zum Licht wollen. Aber es ist grün. Und heute wird Grün als Etikett genommen.
Doch gerade der Kontrast zwischen der steinernen Stadtstraße und dem grünen Park in der Stadt wäre ein deutliches Strukturierungs- und Gestaltungselement. Aber so wird alles vermanscht – Grün ist beautiful, also muss irgendwo Grün hin – wo’s gar nicht hin gehört.
Man sollte auch mal an die armen Bäume denken. Wenn man schon von Partner spricht, sollte man mal fragen wie’s dem Partner zumute ist. Auf der Zeil in Frankfurt haben sie die Platanen unten am Tropf – oder sind’s Platanen? Jedenfalls so ne Ahornart. Da ist eine ganze Reihe unten am Tropf weil ein U-Bahnschacht darunter gebaut ist. Die sind unterirdisch bewässert und bekommen auch automatisch Nahrung. Und im Herbst wundern die Leute sich weil sonst alles kahl ist und die Bäume dort noch alle im satten Grün dastehen. Wenn dann der Frost kommt hängen die ganzen Blätter und Triebe runter. Jetzt wird das ja entfernt. Ich finde es richtig – das ist absurd.
Also: nicht Grün um jeden Preis und überall.
BCJ: Wo sehen Sie die größten Widerstände gegen Gebäudebegrünung? Sind es eher pragmatische, technische und finanzielle Gründe oder der Wunsch des Kunden bzw. Architekten nach einer „sauberen“ Architektur?
Ot Hoffmann: Die Architekten haben doch gar nichts mehr zu sagen, wenn das Haus fertig ist. Die Architekten können wir vergessen. Wie der auch baut, wenn der Nutzer Grün haben will und die Fassade begrünt, ist die Architektur im Eimer. Der Architekt hat ja nichts mehr zu sagen, der ist weg. Also müssen wir an den Nutzer denken – welche Einstellung hat der Nutzer dazu? Naja, wie gesagt im Wohnumfeld – das ist ja hauptsächlich Fassadenbegrünung in diesen engen Straßen – mehr kann man ja da nicht machen – ist ja schon viel gelaufen und da sieht man ja was der Nutzer dazu denkt…
BCJ: Es ist wahrscheinlich einfach die Angst vor der Pflanze oder auch vor dem Aufwand sie zu pflegen.
Ot Hoffmann: Beim Nutzer? Na, er tut’s doch. … Jetzt wäre die Frage: Was ist der Grund für das Nicht-Tun?
Es geschieht ja überall, also…es ist ja fantastisch wie das zunimmt.
BCJ: Könnte aber mehr sein.
Ot Hoffmann: Sie sind unbescheiden. Sie sind noch zu jung! (lacht) Was ist der Grund für die, die es nicht tun. Ja,… diese Cleanness, dieses hygienische, dieses saubere…
BCJ: Ich denke, dass Nutzer das oft auch wegen gewisser Klischees nicht machen, die aus Unkenntnis resultieren. Es ist ja auch so, dass man auch ein gewisses Wissen mitbringen muss – man kann nicht an jede Fassade jede Pflanze dransetzen – Efeu kann auch sehr zerstörerisch sein. Und da besteht eben ein ziemlicher Informationsmangel.
Ot Hoffmann: Ja, aber für Laien gibt es da ja eine Publikationsflut für Fassadenbegrünung. Wenn die das wollen, haben die keine Schwierigkeiten, dies zu realisieren. Es kommt jetzt darauf an herauszukriegen warum die, die es nicht wollen, es nicht wollen. Und da glaub ich einfach, so aus der Kenntnis der Leute, wie sie auch ihre Vorgärten und das alles gestalten, dass sie das sauber und ordentlich haben wollen. Und dass sie das Grün als unordentlich empfinden. Und das ist es ja auch, das ist ja das Schöne daran. Das ist ja eine Unordnung, die hinreißend ist – das ist Chaos. Da macht ein Architekt – vielleicht sogar nach dem goldenen Schnitt – ein Haus, gestaltet das so richtig schön, und dann wächst da so eine Pflanze davor – ein Baum – und verdeckt das alles. Hinreißend. Der kümmert sich nicht um den goldenen Schnitt, den hat er in sich…
BCJ: Ich danke Ihnen sehr für dieses interessante lange Gespäch!
Fotos ©: Dirk Junklewitz, Helga Fassbinder, Nicole Pfoser